Mit der Zirkusshow „AfrikaAfrika!“ gastiert die moderne Version der kolonialen Völkerschau in Würzburg
Die KritikerInnen scheinen sich einig zu sein, auch die KulturrelativistInnen jauchzen vor Freude: Am 23. und 24. Januar kommt André Hellers Zirkusshow „AfrikaAfrika!“ nach Würzburg. „Das magische Zirkusereignis vom Kontinent des Staunens1“ tue laut ZDF „dem Publikum, den Künstlern und einem ganzen Kontinent etwas Gutes“. Der Einspruch, dass die Show kaum etwas zur Verbesserung des Verhältnisses von EuropäerInnen und AfrikanerInnen beitragen kann, sondern stattdessen altbekannte Klischees der afrikanischen Fremde aus Urgroßomas kolonialer Klamottenkiste hervorkramt , geht im Applaus der exotistischen Begierde unter. „AfrikaAfrika!“ ist nichts anderes als ein moderner Völkerbaukasten.
Betrachtet man die Konstruktionen von Fremdheit, die die Zirkusshow entwirft, so muss ein kurzer Blick auf die Völkerschauen, welche am Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland entstanden, gerichtet werden: Denn Stereotypen wie ausgeprägte Körperlichkeit, Mystizismus, typische Lebensfreude, unberührte Stammeskultur, Rohheit und Flexibilität der Gelenke, welche sich alle in der Zirkusshow widerspiegeln, kamen auch in den kolonialen Völkerschauen vor. Auf Jahrmärkten oder in Zoos wurden damals die „Fremden“ präsentiert, wobei besonders exotisch anmutende Bräuche, physische Besonderheiten und besondere körperliche Belastungen die europäischen BesucherInnen in Scharen herbei lockten. Die eigenen verborgenen Wünsche der BesucherInnen und SchaustellerInnen wurden dabei auf die „Fremden“ übertragen. Besonders deutlich wurde dies bei der Projektion erotischer Wünsche auf die AfrikanerInnen. Zeichen von „Zivilisiertheit“, so etwa die Beherrschung von europäischen Sprachen oder die Beherrschung von europäischen Umgangsformen, waren bei den VeranstalterInnen der Völkerschauen nicht erwünscht, da man ja das „Fremde“ ausstellen wollte und damit möglichst authentisch bleiben. So musste man den AfrikanerInnen oftmals die als „typisch afrikanisch“ charakterisierten Fähigkeiten beibringen. Damit verbunden war selbstverständlich, dass die einzelnen KünstlerInnen nicht als Individuen wahrgenommen wurden, sondern stattdessen deren Körperlichkeit oder ihre Stammesidentität in den Vordergrund gerückt wurden. Ein ganzer Kontinent sollte erfahrbar werden, aber eben nur durch die Zerrbilder, die die psychischen Projektionen der EuropäerInnen zuließen.
Die exotistischen Konstruktionen der Kolonialzeit sind nachwievor vorhanden- daran lassen sowohl die Selbstdarstellung von „AfrikaAfrika!“ als auch das Medienecho keine Zweifel. Bereits die Bezeichnung Afrikas als „Kontinent des Staunens“ lässt erahnen, dass den ZuschauerInnen kein Einblick in die Komplexität der modernen Gesellschaften Afrikas gewährt werden soll, sondern ein stereotyper Mystizismus entworfen wird. Die Entindividualisierung der ArtistInnen, die Lust an der Konstruktion von körperlicher Fremdheit, wird bereits in der Showbeschreibung deutlich: „Körperexzentriker biegen sich stolz und geschmeidig wie Schlangen, Füße werden zu Händen, Hände zu Füßen ? ein seltenes Schauspiel, wie es nur die afrikanische Tradition kultisch perfekter Körperbeherrschung erlaubt.2“ Wenn Heller von den ArtistInnen der Show gelernt haben will, „ganz im Augenblick zu leben“3, dann klingt dies ganz nach der Begierde, die AfrikanerInnen zu Kindern zu machen, denen eine planende, rationale Entscheidung nicht zuzutrauen ist, denen die Lebensfreude aber niemals abhanden kommt. Auch die Zeitungen geizen nicht mit solcherlei Zuschreibungen. Das „Königreich der Gaukler und Paradies der Lebensfreude“ entdeckt der Spiegel, und das angeblich originäre Afrika kommt auch in der Passauer Neuen Presse nicht zu kurz: „Bunte Farben, wilde Tänze, Lachen – was ‘afrikanisch’ bedeutet, das können alle Darsteller ohne Mühe zeigen.” Die Vorstellung einer tiefen afrikanischen Verbundenheit mit der Natur, bereits von Rousseau beschrieben und als Zeichen der Überlegenheit der EuropäerInnen gedeutet, weshalb die AfrikanerInnen als Kinder zu betrachten seien, spiegelt sich in der Darstellung der tanzenden ArtistInnen wider, denn sie „können fließen wie Wasser, wie der Wind fliegen oder wie Feuer flackern.“ Immer wieder taucht in der Presse das altbekannte Motiv der maximalen körperlichen Belastbarkeit, als typisch afrikanisch charakterisiert, auf. „Das Tempo ist atemberaubend, die Biegsamkeit der schwarzen Körper schier unfassbar […]” jubelt die NZZ, „er steckt im Froschkostüm, hat unglaubliche Kulleraugen und kann sich verrenken, dass es beim Zusehen weh tut.”, berichtet der Stern über die Performance eines Künstlers. Selbstverständlich lässt sich auch die BILD nicht nehmen, eine Ladung Stumpfsinn im Blätterwald zu verkippen. „Die Staaten des dunklen Kontinents dürfen ihre teuren Botschafter jetzt getrost in Pension schicken. Es gibt keinen besseren Botschafter Afrikas als diese tanzende, turnende, tobende Truppe. In zwei Stunden ersingen und erspielen sie so viel Sympathie für ihre Heimat, wie Diplomaten nicht in zwei Jahrzehnten erdienern und erdinnern können.“ BILD rückt also wieder ein paar europäische Weltbilder zurecht: Der Afrikaner an sich tanzt und tobt, und auch die afrikanischen PolitikerInnen scheinen zu nichts weiter fähig als zur Unvernunft.
„AfrikaAfrika!“ ist europäischer Exotismus gepaart mit einer in Afrika nicht existenten Zirkustradition. André Hellers angeblicher Anspruch, ein anderes Bild von Afrika zu entwerfen, als das der Krisen, Krankheiten und Kriege, trägt absolut nichts zum Abbau von Stereotypen bei. Die Darstellung von Menschen als „edle Wilde“ bietet den Nährboden für einen „umgekehrten Rassismus“, der nicht das Individuum in den Vordergrund stellt, sondern die scheinbar unentrinnbare kulturelle Identität, die in diesem Falle eine Konstruktion seiner europäischen BetrachterInnen ist. Man darf gespannt sein, welche Glanzleistungen die Main-Post bei ihrer Berichterstattung über „AfrikaAfrika!“ vollbringen wird. Bei Überschriften wie „Tracht gegen Globalisierung“ befürchte ich das Schlimmste.
Benjamin Böhm
1 Aus der Online-Selbstbeschreibung der Zirkussshow
2 ebenda
3 ebenda