Hartmut Feuerteufel (48) bestreitet Vorwürfe
Als unschuldige Autos im Juli diesen Jahres von einem Mann namens Feuerteufel heimgesucht wurden, entschied ich mich, für meine Recherche tief in das Milieu einzutauchen, das sie die Zellerau nennen. Ich nahm eine neue Identität an und zog zwei Monate in das Herzen eines von inneren Widersprüchen zerrissenen, nach lodernden Brandbeschleunigern riechenden Stadtteils. Welche Motive und Schallplatten besitzt der Täter? Warum brannten bisher nur Mülltonnen, aber noch nie ein Altkleidercontainer? Wer ist der Mann, der mir gegenüber auf der Couch sitzt und was gibt es morgen zum Mittagessen? Das alles sind Fragen, die mich überhaupt nicht interessieren und deren Antworten sie in diesem Artikel vergeblich suchen werden. Mein Interesse galt einzig und alleine der 2000-€-Belohnung, die mir die Polizei schenken würde, wenn ich zur Ergreifung des Täters beitrüge.
Zellerauer Plunder, entkoffeinierter Kaffee, eine geblühmelte Tischdecke, die ihre besten Tage hinter sich hat. Ich sitze in Roswitha Murgelhofers Esszimmer, zu dem ich mir mit Hilfe des Enkeltricks Zutritt verschafft habe. Frau Murgelhofer ist an die 80 Jahre alt, eine kleine, hagere Dame. Ihr Kleid sieht ihrer Tischdecke täuschend ähnlich und sie riecht aus dem Mund. Aber das ist eher unwichtig. Seit 80 Jahren lebt sie in der Zellerau, seit 80 Jahren glotzt sie aus dem selben verdammten Fenster. Wenn jemand weiß, wie der Feuerteufel aussieht, dann sie. Die sympathische Dame erzählt viel, freut sich über einen Besuch ihres Enkels- ich habe sogar einen Blumenstrauß mitgebracht- und weiß auch über den Brandstifter zu berichten. Da sei manchmal einer nachts unterwegs gewesen- der habe mit Akzent gesprochen und sei wohl auch nicht von hier gewesen. Ich lege Frau Murgelhofer einen Kugelschreiber in ihre tattrigen Händchen und bitte sie, ein Phantombild des Verdächtigen anzufertigen. Als sie nach einer halben Stunde fertig ist, weiß ich, dass das eine Scheißidee war. Ich bedanke mich, lasse mir noch ein paar Stückchen Kuchen einpacken, „leihe“ mir 500 € und ziehe von Dannen.
Nächste Station Dosenbier. In der Tankstelle fallen mir zwei Dinge auf: Zum einen braucht man sehr große Einkaufstüten, wenn man für 500 € dänisches Dosenbier kaufen möchte. Zum anderen sind zwar Instant-Grills vorrätig, die Grillanzünder jedoch sind ausverkauft. Ausverkauft!Verdächtig!! (Lass das mit den ständigen Ausrufezeichen, Trottel!) Hat sich der Täter etwa mit Wunderblitz Grillanzündern bevorratet, um noch mehr unschuldige Kraftfahrzeuge mit in den Tod zu reißen? Etwas verwirrt teilt mir die Dame von der Tanke mit, wie der typische Grillanzünderkäufer in etwa aussieht: Bierbauch, Jogging-Hose, meistens kaufe er sich noch ein paar Bratmaxe. Endlich mit einem Täterprofil im Kopf verlasse ich zufrieden die Tankstelle.
In den folgenden Tagen hänge ich an den einschlägigen Treffpunkten der Zellerauer Jugend ab und stelle mich als neuer Sozialpädagoge vor. Mir wird deshalb, völlig zurecht, stündlich in den Bauch geboxt. Einen Boxenstop legen die Jungs aber sofort ein, als die furchteinflößenden Herren mit Kampfhund und Schneetarnbomberjacke auftauchen. Man habe eine Zellerauer Bürgerwehr gegründet, da es so ja nicht weitergehe, erläutert mir wenig später einer der drei jungen Männer, während die anderen beiden fieberhaft damit beschäftigt sind, böse zu gucken. Einen guten Tipp, wer denn der Feuerteufel sein könnte, können mir die Halbstarken aber auch nicht geben.
Etwas zynisch finde ich es, dass man in einer Metzgerei „Feuerteufeli“ bekommt. Das sind Landjäger, die neben Schweinefleisch und Nitritpökelsalz auch eine gehörige Portion scharfes Paprikapulver enthalten. Noch viel zynischer wird die Angelegenheit, als ich einen fettleibigen Polizisten dabei ertappe, wie er sich mit seinem Landjugendgrinsen eine solche Wurst bestellt, diese an einem Stück in seinen Rachen rammt, einen Schluck Selters trinkt und anschließend „Brand gelöscht“ albert. Sein Kollege und er lachen, wie Polizisten eben lachen.
Ich komme so nicht weiter. Keine heiße Spur, auch nach Wochen nicht. Die Verzweiflung bringt mich sogar soweit, dass ich eines abends mit einem eher weniger schlauen Hippie im Denklerblock sitze, Dosenbier trinke und mir seine Fabeln über Hohlwelten, Naziufos und geheime Weltregierungen anhöre. Plötzlich bringt mich die Vertonung von geistigem Dünnschiss, die unentwegt aus seinem Mund sprudelt, auf eine Idee: Sein Gebrabbel von Menschen, deren Körper einfach verbrennen, ohne erkennbaren Grund, die These von der Spontanen Menschlichen Selbstentzündung (SMS) also, macht mich nachdenklich. Laut SMS-Theorie sei es möglich, dass Menschen einfach so anfangen zu brennen, einfach so nebenbei beim Abendessen zum Beispiel. Wenn die SMS-Theorie war wäre- was sie nicht ist- könnte es dann sein, dass auch Mülltonnen, Autos oder Kruzifixe spontan Lust darauf haben, in Flammen aufzugehen?
Diese Gedanken rauben mir den Schlaf. Eines morgens mache ich mich auf den Weg nach Kulmbach, um den weltbekannten, zurecht unanerkannten Parapsychologen Kasimir von Pützlitz zu besuchen. Von Pützlitz wohnt in einem stattlichen fränkischen Fachwerkhaus, das die besten Tage hinter sich hat und an dessen Westseite das Wort „Karma“ geschrieben steht. Eine nach Patchoulie duftende, in geheimnisvollem Ton flüsternde Frau sitzt im Foyer an einem Couchtisch. Auf dem Tisch: Tarot-Karten, eine Flasche Absinth, ein Streichholzschächtelchen, auf dem „Zünftiges aus Zirndorf“ steht. „Wir haben sie bereits erwartet“, zischt die aufregende Dame in geheimnisvoller Weise und zeigt auf eine Türe hinter sich. In diesem schwach beleuchteten Raum sitzt Kasimir von Pützlitz, welcher ein Gewand aus Kartoffelsackstoff an hat. Auf diesem Gewand steht „vorwiegend festkochend“. Von Pützlitz spricht in einem penetranten schwäbischen Akzent, was mich zum einen verwirrt, zum anderen an Käsespatzen mit Röstzwiebeln erinnert.
Jamjamjam, Käsespatzen mit knusprigen Röstzwiebeln. Ein Gedicht.
Auf die Frage nach der Möglichkeit, dass sich nicht nur Menschen spontan selbst entzünden könnten, sondern auch Gegenstände, muss der langhaarige Parapsycho lange nachdenken. Er muss sogar so lange nachdenken, dass ich kurzzeitig denke er sei eingeschlafen oder gar verstorben. Plötzlich blickt er hastig auf seinen „Astro-Kalender 2009“, sagt mir, dass gerade Jahr des Büffels sei und dass er Schlimmes befürchte. Auch der schiefe Turm von Kitzingen oder das Thomas-Gottschalk-Denkmal in Bamberg seien von Feuerteufel bedroht, wenn nicht eine Kraft erscheine, sie alle zu knechten, sie alle zu finden ins Dunkel zu treiben und ewig zu binden blablabla. Selbst Frau Murgelhofer oder der Hippie scheinen mir vertrauenswürdiger als dieser schwäbische Scharlatan mit schmutzigen Fingernägeln, jedoch genügt mir für meine Recherche, dass er meiner zweifelhaften These zugestimmt hat.
Zurück in der Zellerau erschrecke ich, als ich den Namen Hartmut Feuerteufel auf einem Klingelschild in der Nähe meiner Wohnung entdecke. Sollte die Lösung so einfach sein? Wohnt hier der Feuerteufel höchstpersönlich? Und bekomme ich jetzt endlich die 2000 €? Was schmeckt besser, Soja oder Seitan? Ich klingele an seiner Türe, mir erscheint ein Mann Ende 40 mit einem stattlichen Schnauzbart und einem Morgenmantel an. „Entschuldigen sie, sind sie der Feuerteufel?“ „Gewiss doch.“ Kann man dies schon als Geständnis werten? Ich bohre weiter nach: „Wissen sie, wer in dieser Stadt jedes Wochenende Brände legt?“ Herr Feuerteufel guckt verdutzt, sein an sich freundliches Wesen zerfällt in Windeseile und seine Mundwinkel werden wie von einem Amboss nach unten gezogen. „Falls sie zu dene Menschn g’hörn, die wo stündlich bei mir anrufen und die wo Scherzchen mit meinem Namen treiben: Ich ruf des nächste mal die Bolizei!“ schreit er und wirft die Türe zu. Polizei kann er haben, denke ich mir und rufe die Ordnungshüter an, um sie zu Hartmut Feuerteufels Wohnung zu schicken. Doch sie kommt nicht. Nie ist die Polizei da, wenn man sie braucht. Auch auf meine 2000 € warte ich bis heute. Tja. Resigniert verlasse ich die Zellerau. Für immer.
Der Feuerteufel, er lebt noch immer mitten unter uns. Man sage nicht, ich hätte nicht versucht, diese Stadt zu retten.
Hunter S. Heumann