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Von Liberalen und anderen Balzvögeln

Hunter S. Heumanns Bericht zweier blau-weißer Festivitäten

Nun, es passiert ja nicht gerade viel in der Gegend. Die Langeweile ist derart groß, dass ich den Polizeibericht eines vergangenen Wochenendes als kleines Highlight für mich entdeckt habe. Ein paar Schlägereien, Vandalismus, Exibitionisten und ab und zu sogar eine brennende Mülltonne. Dieser Öde entkommt man schwer.
Es sei denn, man schafft es, sie zu verdrängen. Hilfsmittel ist dabei entweder der liebe Herr Alkohol oder der Besuch von absurden Veranstaltungen. Das größte Vergnügen ist jedoch die Kombination beider. Und so kam es, dass ich zwei ganz besondere Highlights in meinem Kalender der gepflegten Unterhaltung eingetragen hatte, bei denen den Farben blau und weiß eine besondere Bedeutung zukam.
Die erste Veranstaltung, der ich beiwohnte, war ein Umzug gegen Deutschland. Als Ort für diese vielversprechende Demonstration hatten sich die Veranstalter das brodelnde Herz Germaniens ausgesucht: Kitzingen. Es gibt viele Gründe, gegen Deutschland zu sein, Kitzingen ist aber mit Sicherheit einer der besten.
Nach einer schlimmen Nacht, vernebelt von dichtem, schwerem Tabakduft, klingelte es am Morgen an meiner Türe. Auf meinen Synapsen spielte der Obstler noch immer Punkrock. Das Aufstehen fiel mir wahrlich schwer. Bevor ich die Türe erreichte, schnappte ich mir noch mein Pfefferspray- denn man kann ja nie wissen, welche Freaks schon wieder vor der Wohnung stehen. Was sich mir darbot, kam tatsächlich einer Freakshow relativ nahe. Da standen drei Leute mit verquollenen Gesichtern und Augenrändern bis zum Allerwertesten. Einer stammelte irgendetwas von „Elektroparty“ und „Nacht durchgetanzt“. Ach richtig, das waren die Herren, die mich zur Demo abholen wollten. Mit flauem Gefühl im Magen stieg ich also ins Auto. Im Nachhinein frage ich mich, ob es der Gesamtsituation zuträglich war, dass ich es genoss dem Fahrer während der Fahrt vom hinteren Sitz permanent meine Knie in den Rücken zu rammen. Vielleicht war dies aber auch die einzige Möglichkeit, ihn wach zu halten. Wir werden es nie erfahren.
Wir kamen in Kitzingen an. Die Sonne schien, die Tiere am Mainufer freuten sich über diesen wunderschönen Frühlingstag. Zumindest nahm ich es so wahr. Ein böser Mann mit blauen Adiletten und feuerrotem Kopf schimpfte von seinem Balkon herab. Seine Stimme klang wie ein Polizeiauto, inklusive Doppler-Effekt. Er schien nicht sehr erfreut darüber, dass die Abschlusskundgebung dieser Demonstration vor seinem Haus stattfinden sollte. Dicke Luft, ich hätte auffallen können, nur raus hier. Mir war das ganze Theater sowieso recht egal. Ein Freund und ich setzten uns bis zum Anfang der Demo an den Main und schauten Enten beim Geschlechtsverkehr zu. Ein faszinierendes Schauspiel! Der Umzug sollte am Bahnhof beginnen, und so begaben wir uns in seine Richtung. Was gehört zu einer guten Bahnhofskneipe, in der man sich schon um die Mittagszeit volllaufen lassen will? Das rustikales Ambiente, Sportwimpel, Faßbier- sonst nichts. Und genau eine solche fanden wir auch vor, was uns zum Konsum von einem, zwei oder auch drei Hopfengetränken verleitete. Von den gemütlichen Stühlen im Hof der Trinkhalle konnten wir dann auch beobachten, wie lange vor den Demonstranten die Ordnungshüter den Platz inspizierten- und mit Ihnen dieser Herr vom Staatsschutz mit dem schönen Holzfällerhemd und der modischen Sonnebrille. Irgendwann ging die Demo dann auch los. Es gab 100 Israel-Fähnchen, 50 Demonstranten und kaum jemanden auf den Straßen. Ein paar Kids freuten sich über die Bonbons und Plätzchen, die von Antifas verteilt wurden. Lächelnde Kinder waren dann aber auch schon die ganze Außenwirkung dieser antideutschen Hateparade. Die Musik vom Lautsprecherwagen war schlimm. Ich wünschte mir Schleimkeim, aber niemand wusste, was ich damit meinte. Punk ist halt auch nicht mehr, was er mal war. Angekommen bei der Abschlusskundgebung trank ich noch ein paar Vodka-Redbull. Mir wurde schwindelig. Betrunken in Kitzingen. Die Reise war’s wert.
Wenige Tage später hatte meine Leber bereits das nächste weiß-blaue Großereignis zu befürchten: Die Kanzlerin sollte in unsere gottverlassene Stadt kommen. Aber niemand hatte ihr einen Thron gebaut. Bewaffnet mit einer Flasche Apfelkorn und einer Hubschraubermütze begab ich mich barfüßig zum Marktplatz. Und verdammt, dieses unentwegte Augenzucken. Hunderte, wenn nicht tausende Menschen, viele mit Lederhosen an, fast alle mit Schaum um den Mund, warteten gespannt auf die Rede der Fürstbischöfin. Ich setzte mich an den Obelisken, an dem sich am Wochenende normalerweise die Punks treffen, und versuchte, mein zuckendes Auge in den Griff zu kriegen. Keine Punks in Sicht. Deren Rolle sollten heute die Milchbauern spielen. Die Landwirte protestierten gegen den niedrigen Milchpreis und riefen unverständliche Dinge, die wie ein lautes „Muuh!“ klangen. Wenn mich meine Sinne nicht täuschten, hatten die Milchbauern sogar eine Kuh mitgebracht, die stark nach Stall roch. Die freundliche Kuh schmatzte zufrieden vor sich hin. Kurz überlegte ich mir, ob ich ihr ein paar Pommes vom Marktstand holen sollte. Die Widerkäuerin war zweifellos die sympathischste Person auf dem gesamten Platz. Aber ein Ereignis machte meine Pläne zu nichte: Da stand er wieder, der Mann vom Staatsschutz. Er hatte immer noch das selbe Holzfällerhemd an. Ob er es zwischendurch wenigstens mal gewaschen hatte? Eine Angstattacke überkam mich. Kann es sein, dass dieser Mann mich verfolgt? Dass es weiß, dass ich selten vor zwölf Uhr aufstehe, dass er mich beim umziehen beobachtet? Ich versuchte, mich hinter der Kuh zu verstecken, die vielleicht gar keine Kuh war. Die Rede der Königin hatte bereits angefangen. Ich kann mich an kein einziges Wort mehr erinnern. Im Schatten der Kuh drückte mir ein junger Mann ein Flugblatt einer liberalen Partei in die Hand. Seine Art und Weise, um die Leute herumzutänzeln und Wahlpropaganda zu verteilen ähnelte dem Balztanz der Enten bis ins Detail. Bei genauerem hinsehen erinnerte mich der junge Mann aber nicht mehr an ein süßes Entchen, sondern eher an einen Kampfhahn mit etlichen Schmissen im Gesicht. Da waren noch mehr Menschen, die Flugblätter verteilten. Eine bedrohliche Situation. Sie hätten mich mit ihren Schnäbeln zerhacken können. Sollte dies mein Ende sein? Panisch rannte ich davon, schreiend stieg ich in die erste Straßenbahn, der ich begegnete. Zufälligweise war es die richtige. Ich schleppte mich in mein Bett und schlief 20 Stunden am Stück. Ich bin wirklich froh, noch am Leben zu sein.

Hunter S. Heumann

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Codex Cairo

Codex Cairo

Über die freiwillige Selbstkontrolle der sogenannten Jugend- und Subkultur Würzburgs

Es gibt wohl wenige weitere Städte über 100.000 Einwohner in Deutschland, in denen die selbst ernannte Subkultur derart gut abgehangen daherkommt. Je weniger dem Begriff Subkultur eine gesellschaftliche Realität zukommt, desto mehr scheint man der Lüge, dass eine Integration in städtische Jugendarbeit irgendetwas mit alternativer Subkultur gemein haben könnte, als Selbstbestätigung zu bedürfen. Jegliches negative Potential, das in in einer Subkultur vielleicht einst steckte, ist und wird verbraucht. Das Autonome Kulturzentrum hatte es verloren und sich damit selbst ad absurdum geführt, das Cairo als neues AKW mit besserer Organisationsstruktur und perfektionierten Integrationsmechanismen betreibt die Konsensstiftung mit dem Bestehenden nahezu perfekt.

Subkultur brought to you by Stadtsparkasse Würzburg

Als sich ein paar Leute vor einem viertel Jahrhundert entschlossen, das Autonome Kulturzentrum zu errichten, war es mit Sicherheit noch möglich, den Begriff Subkultur zu verwenden, ohne dabei an staatlich eingehegte Vergnügungstempel zu denken. Denn es schwang ein kritisches Potential mit, das eine Realität besaß: Nämlich die Perspektive, dass die Geschichte noch gar nicht begonnen habe, dass ein gesellschaftlicher Umbruch möglich sei, der die Mauern der alten Welt einreißen werde, und damit die Gewissheit, dass sich eine Bewegung gegen das Alte stellen könne, die nicht nur aus ein paar Linksradikalinskis bestehen würde, sondern aus einer breiten Gegenbewegung, zusammengesetzt aus, im weitesten Sinne, alternativen Kulturschaffenden.
Die Geschichte zog einem solchen Verständnis von Subkultur den historisch-realen Boden unter den Füßen weg. Was sich in den 80ern als alternative Subkultur verstand, wurde spätestens in den 90ern die Avantgarde der neubürgerlichen Produktivkraftentwicklung. Wer sich vorgestern noch im subkulturellen Sumpf bewegte, verstand sich gestern schon als kommunaler Anwalt eines verstümmelten, herrschaftsaffimativen Verständnisses eben dieser Subkultur. Im AKW mag bis vor ein paar Jahren noch der eine oder andere kritische Gedanke konserviert worden sein, der einst in der Subkultur steckte, am Ende blieb davon nicht mehr übrig als eine schwache Erinnerung. Interessanterweise, und im Nachhinein wohl auch fatalerweise, fand in Würzburg nicht das „Outsourcing“ des kritischen Potentials statt. Denn die Marginalisierung der linken Herrschaftskritik führte in anderen Städten durchaus zu zahlreichen Neugründungen von kleineren autonomen oder alternativen Kulturzentren. Im Nachhinein ist es schwer nachzuzeichnen, weshalb dies in Würzburg nicht geschah. Mit Sicherheit spielte die Wahrnehmung des AKWs als das eigentliche subkulturelle Kulturzentrum, das aber längst keines mehr war, eine bedeutende Rolle. Festzuhalten ist jedenfalls, dass die gesellschaftliche Entwicklung den kritischen Begriff von Subkultur zunichte gemacht hat, und dass genau deshalb städtische Jugendzentren wie das Cairo oder der B-Hof(1) eigeninitiative „Kulturschaffende“ anziehen können, die sich als Teil einer wie auch immer gearteten alternativen Subkultur verstehen, obwohl das kritische Potential beim Eintritt in die ehrenwerte Gesellschaft der Jugendarbeit an der Garderobe abgegeben werden muss.

Du bist Würzburg

Die Ironie an der Sache ist, dass durch das Ende des AKWs eine Wahrheit endgültig ans Licht kommt: städtischen Kulturzentren kommt die Deutungshoheit über den Begriff von Jugend- und Subkultur zu. Während sich die so genannte Hochkultur noch einbildet, eine eigenständige, unabhängige Sphäre zu sein, hat dies die Jugendkultur überhaupt nicht mehr nötig: Was „Independent“ ist, das bestimmt nun die Stadtkultur. Dabei darf eine Sache nicht falsch verstanden werden: obwohl es das Cairo natürlich bewusst intendiert, den Extremismus aus dem Jugendkulturhaus heraus zu halten, kann die Abmilderung von jeder kulturellen Veranstaltung nicht an einzelnen Menschen festgemacht werden: Es sind die Charaktermasken der städtischen Sozialpädagogik, welche ihren Sinn immer in der gesellschaftlichen Integration der Jugend hatte und hat. Diese Rolle spielt das Cairo nahezu perfekt. Das Jugendkulturzentrum stellt die Scharnierfunktion zwischen selbstinitiativem Engagement und der Konsensstiftung mit kommunaler Kultur dar.
Und so kommt es, dass die Stadt nicht mehr als Gegnerin, sondern als Partnerin wahrgenommen wird. Die AgentInnen der städtischen Jugendarbeit treten dabei als Anwalt der sich selbst zähmenden Jugend- und Subkultur auf, während die Kulturbeauftragten der Stadt Würzburg dieser Art von Kultur zum größten Teil Wohlwollen entgegenbringen, solange nach deren Spielregeln gespielt wird. Und es wird nach den Spielregeln gespielt.
Die VeranstalterInnen müssen nicht dazu gewungen werden, unerwünschte Veranstaltungen zu unterlassen. Dadurch, dass man sich in der Sphäre der städtischen Jugendkultur bewegt, lernt man automatisch, was man zu tun und zu lassen hat. Es handelt sich um eine Freiwillige Selbstkontrolle zugunsten des Würzburger Images.
Während der Begriff von Subkultur, wenn auch in einer völlig verstümmelten Variante, noch Bedeutung für gewisse Leute besitzt, ist der Begriff der Selbstorganisation anscheinend völlig aus dem Vokabular der Würzburger „Szenekultur“ verschwunden. Die Vorstellung, dass es möglich sein kann, ohne die Vermittlung von jugendkulturellen Anwälten der „Szene“ und ohne das Wohlwollen der Stadt etwas auf die Beine zu stellen: Sie scheint den Leuten, die in Ihrer Jugend vielleicht mal Revoluzzer spielten und heute Kulturschaffende sind, völlig abhanden gekommen zu sein. Keinen Begriff mehr von kritischen Interventionen und Gegenkultur zu haben bringt die Zufriedenheit mit dem totalitären Unheil zum Vorschein, die die sozialpädagogische Selbstzähmung geschaffen hat.

Die schlechteste Ausrede

In Debatten über die Möglichkeit, in Würzburg etwas zu schaffen, das sich der kulturellen Standortlogik entzieht, hat sich bei vielen Menschen eine Argumentationsweise eingeschlichen, um die eigene Resignation zu rechtfertigen oder ganz zu vertuschen: Würzburg sei eben Würzburg, hier gebe es weder eine linke Szene noch die Möglichkeit, etwas kritischeres als das Cairo zu errichten.
Ich halte dieses Argument für eine schlechte Ausrede, um der eigenen Lethargie einen höheren Sinn zu geben. Würzburg ist weder zu klein (in kleineren Städten wie Gießen, Hanau oder Göttingen gibt es auch alternative Zentren), noch zu bayerisch (selbst in einem Kaff wie Sulzbach-Rosenberg gibt es ein selbstverwaltetes Jugendzentrum), noch sind alle Zufrieden mit der gesellschaftlichen Totalität. Man kann scheitern, selbstverständlich. Aber um Scheitern zu können, muss man zuerst einmal begonnen haben. Was den Leuten fehlt, ist das Anfangen-können, das tiefe innere Vertrauen, dass man am Ende seine Ziele erreichen wird.
Es gilt, die Fragen, die scheinbar nicht mehr gestellt werden, neu zu stellen. Was will, was kann Jugendkultur? Welche Funktion erfüllt städtisch subventionierte Kultur? Die Geschichte hat das kritische Potential von Begriffen wie Kultur, Politik und Kunst unter sich begraben. Es gilt, dieses freizubuddeln. Nicht für Würzburg, sondern für diejenigen, die ihren Frieden mit dem falschen Ganzen noch nicht geschlossen haben.

Jetzt ist die Zeit, hier ist der Ort.

Benjamin Böhm

(1) Interessant ist die unterschiedliche Art und Weise, wie Jugendkultur im B-Hof und im Cairo stattfindet. Im B-Hof besteht noch ein offener Jugendbereich, es wird ein jüngeres Publikum angesprochen und die veranstalteten Konzerte dürfen auch ZuschauerInnen vom linken Rand ansprechen, um diese durch die Sozialpädagogik gesellschaftlich zu integrieren. Im Cairo hingegen wäre es schwer möglich, ein Konzert mit Antifa-Emblem auf dem Flyer zu veranstalten. Ein wesentlich älteres Publikum wird angesprochen, dem man natürlich die anarchistischen Kindereien aus dem B-Hof nicht zutrauen möchte. Die Revolution, eine Sache für pubertierende Teenies.

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Anmerkungen zum Bildungsstreik

Wer hätte gedacht, dass es noch einmal nötig sei, in diesem Magazin die Proteste der StudentInnen mit einem Wort zu erwähnen. Doch die Ereignisse beim kürzlich stattgefundenen so genannten Bildungsstreik verdeutlichen zu viel, als dass man sie ignorieren könne.
Zuerst einmal: Es handelte sich um keinen wirklichen Bildungsstreik. Die 2000-3000 SchülerInnen und StudentInnen, die sich der großen Demonstration anschlossen sind nichts gegen die restlichen tausenden Studierenden, die zur gleichen Zeit in den Hörsälen saßen, weil sie zutiefst zufrieden mit dem Status Quo sind. Die Mehrheit der Damen und Herren Studierenden interessiert sich nicht für die Forderungen, einfach und alleine aus dem Grund, weil sie mit der Situation zufrieden sind. Genau deshalb kann eine Aktion nicht im isolierten Kreis der zukünftigen und gegenwärtigen Studierenden stattfinden, wenn der Protest zu einer Revolte werden soll.
Die Art und Weise, wie es die OrganisatorInnen schafften, der Demo einen revolutionären Charme zu verleihen, um sich am Ende zu beschweren, wenn ein paar hundert Menschen diesen Anspruch ernst nehmen, war zutiefst zynisch. An gewissen Orten wurden Sitzstreiks simuliert, bis ein Ordner die Leute aufforderte, bitte wieder aufzustehen- und sie folgten zunächst noch. „Was ist das Problem? Das System!“ wurde durch das Megaphon gebrüllt, um den DemonstrantInnen das Gefühl zu geben, hier handele es sich nicht um eine Wahlkampfveranstaltung des SDS, der Jusos oder Grünen, sondern um einen Aufruhr gegen das große Ganze. Weit gefehlt! Am Ende kamen ein paar Leute dann doch auf einen vernünftigen Gedanken: Sie hatten keine Lust mehr, sich von OrdnerInnen vorschreiben zu lassen, was zu tun sei, und brachen aus der Demonstration aus. Im Nachhinein wäre die Sabotage wirkungsvoller gewesen, wenn man den Röntgen-Ring besetzt hätte. Aus Mangel an Mut und Menschen musste man dieses Unternehmen wieder aufgeben, bis Verstärkung angerückt war. Die Sitzblockade, die anschließend an der Juliuspromenade stattfand, war zweifellos das Beste, was Studierende Im Kontext der Proteste in den letzten Jahren hervorgebracht haben, und zwar aus mehreren Gründen: Erstens trennte die Sitzblockade denjenigen Teil der StudentInnen, der die Generalprobe für die große Politik spielen möchte, von denen, die die Demoparole „Wenn wir wollen, steht alles still!“ ernst nehmen. Dazu im nächsten Absatz mehr. Zum anderen hat die Aktion dazu geführt, auch in Würzburg ein paar Studierenden den Sinn von Sabotage zu verdeutlichen. In Frankfurt am Main besetzte man während der Studiengebührenproteste Plätze, Gebäude und Autobahnen, während im braven Würzburg 2005 ein einziges Polizeiauto genügte, um tausende Menschen in Zaum zu halten. Über das Ende des Sitzstreiks muss nicht viel verloren werden- die OrdnungshüterInnen rückten nicht nur mit StreifenpolizistInnen, sondern auch mit Bereitschaftspolizei und Staatsschutz an, filmten die Kundgebung und lösten letztendlich den Sitzstreik auf. Die Staatsmacht war sich des Ernstes der Lage durchaus bewusst.
Im Nachhinein kam das Aktionsbündnis Bildungsstreik in Würzburg zu einer klugen Einschätzung, die ich den OrgansatorInnen in dieser Klarheit gar nicht zugetraut hätte: Natürlich distanzierte man sich zuerst einmal vom Sitzstreik. Wer ein sauberes Image als PolitikerIn haben möchte, darf natürlich die WürzburgerInnen nicht mit einem Sitzstreik erzürnen. Daher kommt man zum Schluss, dass es sich bei der Splittergruppe um eine Gruppe mit antideutschen Parolen gegen den Staat gehandelt habe. Das Aktionsbündnis selbst richte ihre Forderungen aber nicht gegen, sondern an den Staat. Sehr richtig! Die Trennung zwischen JungpolitikantInnen und revolutionären Kräften unternehmen also auch die OrganisatorInnen. Natürlich hat man auch gleich das passende Schimpfwort parat, um die anderen von den SaboteurInnen fernzuhalten: es seien Antideutsche. Wenn jede Agitation gegen die politische Form der kapitalistischen Gesellschaft, den Staat, antideutsch ist, dann scheint es für die offiziöse Studierendenpolitik nur noch sie oder die Antideutschen zu geben. Mir soll das recht sein. Zwei Tage später versuchte man dann, den Berliner Ring zu besetzen. Zweifellos eine gute Idee.
Es stellt sich die Frage, was der Sitzstreik bedeutet, und ob er überhaupt irgendetwas zu bedeuten hat. Vielleicht war er nicht mehr als ein spontaner Einfall und eine Verkettung von Zufällen. Vielleicht ist der Sitzstreik aber auch ein Anfang für einen neuen Zweifel an offizieller Unipolitik und den ausgelatschen Pfaden ihrer Agitation. Wenn es in Würzburg auch, im Vergleich zu anderen Städten, kein linksradikales akademisches Milieu gibt, so könnten doch einige Leute für zukünftige Aktionen ihre Lehren aus dem Sitzstreik gezogen haben. Nicht vergessen werden darf dabei jedoch, dass die Revolte erst eine sein wird, wenn man das akademische Milieu verlässt, um das Öl dorthin zu bringen, wo Feuer ist.

Yvonne Hegel

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Hype 12 erschienen! Printausgabe online!

Yeah, unter Printausgabe könnt ihr ab jetzt den Hype 12 runterladen.

Außerdem gibt es die Ausgabe natürlich in Print wie immer an den üblichen Stellen…..

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Kritik des Poststrukturalismus

Weil es im Hype-Umfeld in letzter Zeit ein paar Debatten über das Verhältnis von Kritischer Theorie und Poststrukturalismus gab, hier der Mitschnitt einer Vorlesung Alex Grubers und Florian Ruttners mit dem Thema „zur Unmöglichkeit poststrukturalistischer Gesellschaftskritik“.

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Ein kleiner Vorgeschmack auf den Hype 12

Willkommen zur Kotzkolumne- es gibt vegane blaue Zipfel

Die Kochkolumne ist ja Rainer Bakonyis heilige Kuh. Da ich selten Fleisch esse, fällt es mir wirklich schwer sie zu schlachten. Aber es muss sein. Seit zwei Jahren hält er uns zum Narren. Seine Gerichte kann man entweder besoffen nicht kochen, weil man dabei einschläft, oder die Produkte gibt’s nicht beim Discounter. Und mal ehrlich, was soll am Gaisburger Marsch gut sein? Nein, so geht das nicht!
Die Drohung stand schon lange im Raum, jetzt mache ich’s wahr und schreibe meine eigene Kochkolumne. Im Gegensatz zu Rainer Bakonyi („Rainer Bakonyi lebt in Würzberg. Er schreibt regelmäßig für das akw! info und ist Wirt.“ Phase 2) behaupte ich gar nicht, dass mein Gericht gut schmecke. Ganz im Gegenteil, der Versuch, vegane Blaue Zipfel zuzubereiten, war mit Abstand das ekelhafteste, das ich je gekocht habe. Betrachtet es deshalb als Chance, ungeliebte Gäste loszuwerden, mit eurer Freundin oder eurem Freund Schluss zu machen oder einfach mal gepflegt zu kotzen. Et voilà:

Sie brauchen:
Für die blauen Zipfel: vegane Sojawürste, Wacholderbeeren, Lorbeerblätter, Essig, Öl, Salz, Pfeffer;
Für das bayrisch Kraut: Weißkohl, Gemüsebrühe, Kümmel, Räuchertofu, Essig, Zucker, Öl, Zwiebeln
Für den Kartoffelbrei: Kartoffelbreipulver, Sojamilch ungesüßt

Zubereitung:
Schneidet das Kraut in riesige Stücke, so dass sie nicht gar werden können. Verwendet den Stumpf am besten auch. Zwiebeln würfeln. Räuchertofu (wichtig: viel Räuchertofu verwenden, vielleicht sogar mehr als Kraut. Das macht die Sache besonders widerlich.) würfeln und frittieren. Die Zwiebeln andünsten, mit Wasser, Essig und Zucker ablöschen. Das Kraut und den Kümmel mit einer übertriebenen Menge Gemüsebrühe aufkochen, bis kein Wasser mehr übrig ist. Am Ende Räuchertofu hinzufügen.

Wasser, Essig und Öl zu gleichen Teilen, Sojawürste, Wacholderbeeren, Lorbeerblätter und Sojawürste in einen Topf geben und köcheln. Nicht vergessen werden darf dabei, dass der Sud bitter werden muss. Ich habe keine Ahnung, wie ich das hinbekommen habe. Es soll auf jeden Fall wie Lebertran schmecken. Die Sojawürste nehmen den Geschmack des Suds nicht auf, egal wie lange ihr sie köchelt. Versucht’s erst gar nicht. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Den Kartoffelbrei so zubereiten, wie es auf der Packung steht. Statt Muhmilch Sojamilch verwenden.
Ich wünsche ein gutes Erbrechen!

Hunter S. Heumann,
welcher an dieser Stelle weiterhin noch folgende Kochbücher empfiehlt, um das Kochen im Gesamtzusammenhang der Verhältnisse zu begreifen:

– das große Buch vom Fleisch von Nikolai Buroh
– Wo unser essen herkommt von Willi Spatz
– Natural born Killer von Rainer Bakonyi im akw-info August 1994
– Schnaps brennen. Rezepte für Obstbrände und Ansatzschnäpse. Schritt-für-Schritt-Anleitungen von Herbert Herbst

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Wer zwitschert wann?

Ah, der Gartenrotschwanz ist’s, der Schlawiner!

Für alle, die schon immer mal wissen wollen, welcher Vogelo bereits singt, wenn man gerade erst ins Bett geht:
Wer singt wann?

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Das waren wir nicht

Wir schwören. Niemand von uns hätte den Nerv dazu:

http://insurrectioniran.wordpress.com/

THE COMING INSURRECTION
17/06/2009 · Comments Off

It’s useless to wait- for a breakthrough, for the revolution, the nuclear apocalypse or a social movement. To go on waiting is madness.

The catastrophe is not coming, it is here.We are already situated within the collapse of a civilization. It is within this reality that we must choose sides.

by The Invisible Committee

Wir haben fast dieselben Worte irgendwann auch gedruckt, aber die hier haben wir nicht geschrieben. „Unsere Gedanken sind bereits in allen Köpfen“, und wann hätten wir originell sein wollen?

Texts

LIKE A STORM: THE INSURRECTION IN IRAN

No one is waiting any longer: Iran has exploded and not even the Islamic regime is surprised.

Years of student strikes, militant street battles, workplace struggles, constant repression― and then a spark. One spark to unleash the tidal wave of rage and despair that was once confined to barely audible whispers behind closed doors.

Now the fury is here and everyone is in the streets, young and old, men and women, militant and pacifist.

CHAOTIC RESONANCE

The specter of ‘79 is colliding with the insurrections of Europe, but the flames of Iran burn far brighter than the 2005 uprising in metropolitan France or the Greek insurrection in December.

Everywhere the normal functioning of things has been paralyzed: people refuse to just simply go back to work, squares and streets are blockaded, universities are not functioning, police stations are looted, and everyday social relations are negated.

The human gears that everywhere allow any regime to function are now engaged in a total war that points beyond just stolen elections.

All of the established organizations within the conflict (whether in Iran or in exile) are exploiting it to build their own political power, for their own place at the roundtable.

But when has it ever been different? Their “politics” are always more of the same.

Some wear green like they wear the “Yes We Can” in America.

Is that all we want?

Can the world we want ever be expressed simply by a vote?

Some complain that there are no leaders, no one to direct the insurrection, but this is to the revolt’s credit. Its spontaneous and uncontrollable nature is exactly what has allowed it to spread so quickly and resonate so widely.

This is not about an identity, a minority, an issue, or a stolen election.

It’s about everything!

As Anonymous Sinners (Iranian hip-hop group) asked, “What is it that we want other than freedom?”

THE DEMOCRATIC LIE

They have no future to offer us; the democratic lie can’t hide this.

The children of the metropolis are everywhere bound by common conditions, by lived experience; no more so in the West than in Iran. It takes the uproar and rage of an entire generation born outside of the democratic process to expose its illusions and false hopes.

There could be so much more than a regime change.

What if the insurrection doesn’t end?
What if the fires keep burning, and spread to the whole of society?
This is the real threat, the potential for revolution: that the return to the university, the workplace, and the home might not ever take place.
That the paralysis becomes total, that finally there is no going back…

Fundamentally, we must reach this point of no return.

JUNE 2009/ KHORDAD 1388

Wer wollte nicht lieber von sich sagen können, mit solchen Leuten die selben Gedanken zu teilen, als originell zu sein?

Analysen und Neuigkeiten zum Iran gibt es hier.

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Wenn Studenten protestieren

Höchst interessant, was die Damen und Herren Studierenden in Würzburg neuerdings zustande gebracht haben.

Eine kleine Fraktion der „grossen Demo“ am Mittwoch zog es vor, die Schienen an der Juliuspromenade zu blockieren, anstatt am unteren Markt den Reden irgendwelcher Studentenpolitiker zuzuhören. (Welche Studentenpolitiker sich nicht entblöden, den Sitzstreik zu kritisieren, weil er

der eigentlichen Veranstaltung auf dem unteren Markt Teilnehmer entzogen

habe. Teilnehmer, die sich einfach so widerspruchslos

entziehen

lassen, wären in der Tat besser am unteren Markt aufgehoben gewesen. Auf ihre verdehte Art und Weise haben sie schon gemerkt, dass etwas passiert, das sich ihrer Kontrolle entzieht: daher das hilfose Wüten gegen

eine Splittergruppe mit anti-deutschen Parolen gegen den Staat … Das Aktionsbündnis selbst richte ihre Forderungen aber nicht gegen, sondern an den Staat.

Das wissen wir, es ist keine Verwechslung möglich, und das sieht man ihnen im Übrigen auch an.)

Am heutigen Freitag aber geschah folgendes:

Eine Gruppe von etwa 100 Studenten lief auseinandergezogen und langsam über die Zebrastreifen an den Zufahrten des Berliner Rings. Auf diese Art und Weise wurde der Verkehr für fast 2 Stunden massiv behindert.

Na also! Es geht doch. Immer noch besser als nackt in einen Brunnen zu springen und zu behaupten, das zeige, wie die Bildung baden gehe, ist das doch allemal. Wenn man es sich recht ansähe, hätte man mit solchen Aktionen auch einen wichtigen Hebel in der Hand – wenn auch zu ganz anderen Zwecken. Aber das sind wirklich Fragen, die man mit der antideutschen Splittergruppe seines Vertrauens besprechen sollte.

Zu gegebener Zeit wird es einen Bericht eines, der dabei gewesen ist, geben.

Im Übrigen, first and last and always: Die Studenten können gegen gar nichts rebellieren, ohne gegen ihre Studien zu rebellieren.

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Das Aktionsbündnis „Bildungsstreik“ als Domteur und Bändiger

Wenn es die Antideutschen nicht gegeben hätte, man hätte sie erfinden müssen.

Da mobilisiert ein Bündnis Bildungstreik Hunderte von StudentInnen undSchülerInnen zu einer Demonstration gegen die Zumutungen des Studiums, brüllt ein wenig „Wer ist das Problem? Das System!“ durch das Megaphon, gibt den StudentInnen sogar die Zeit, ein paar Sitzstreiks vorzutäuschen, und wundert sich am Ende darüber, dass ca. 200 Leute doch noch auf einen vernünftigen Gedanken kommen: nämlich Sabotage zu betreiben.

Was aber fällt dem Aktionsbündnis Bildungsstreik dazu ein? Es beklagt sich darüber, dass diese Aktion der Abschlusskundbegung TeilnehmerInnen genommen habe. Wie tragisch. Außerdem sei es eine Splittergruppe mit antideutschen Parolen gegen den Staat gewesen, sagt das Aktionsbündnis, und hat damit natürlich das passende Schimpfwort gewählt: denn immer wenn man nicht fähig ist, etwas zu begreifen, hat man zum Glück das Wort „antideutsch“ parat.

Ich dagegen habe auch ein Schimpfwort mitgebracht: konterrevolutionär.

Ich resümiere: Wenigstens bewirkte die Sitzblockade auch etwas gutes: die Jung-PolitikerInnen von denen zu trennen, die die Sehnsucht der Revolte in sich tragen.

Mehr zur ganzen Sache im neuen Letzten Hype….

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