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13.12.2008 #4: Lob der Unberechenbarkeit

Wir dokumentieren eine Äusserung der Gruppe exIL aus Würzburg.

Zu den „Krawallen“ am 13.12.2008

Im Anfang ist der Schrei. Wir schreien. Wenn wir schreiben oder lesen, vergessen wir schnell, dass im Anfang nicht das Wort ist, sondern der Schrei. Angesichts der Verstümmelung des menschlichen Lebens durch den Kapitalismus, ein Schrei der Trauer, ein Schrei des Entsetzens, ein Schrei des Zorns, ein Schrei der Verweigerung: NEIN.

Irgendetwas ist passiert, und weder wir noch unsere GegnerInnen können im Moment begreifen, was dieser Angriff auf die Würzburger Selbstgenügsamkeit bedeutet.

Zunächst ein paar strategische Anmerkungen: Für Würzburg stellt die Unberechenbarkeit der Aktion, die den ewigen Trott der Latschdemos, der langweiligen institutionalisierten Rituale und der Parteifähnchenschwenkerei hinter sich gelassen hat, etwas Neues dar. Vielleicht ist jene Desorganisation, jenes spontane Element, genau die richtige Antwort auf die Verschärfung der Versammlungsfreiheit. Die Frage, ob man sich überhaupt in irgendeine Polizeistrategie einfügen sollte, ob man überhaupt eine Demo, eine Kundgebung, eine Mahnwache, anmelden sollte, können wir seit dem 13.12. getrost mit „nein“ beantworten. Die Polizei spricht von 100 Personen, und wir wollen sie in diesem Glauben lassen. Eine angemeldete Demonstration hätte kaum mehr, wenn nicht sogar weniger Leute auf die Straße gebracht. Eine offiziöse Kundgebung wäre der Lokalpresse keine Zeile wert gewesen, und uns wären vor Langeweile die Füße eingeschlafen. KeineR von uns kann sich erklären, wer hinter der Organisation der „Krawalle“ steckt, über welche Wege die hundert Leute davon erfahren haben und wie die spontane Zusammenrottung so durchschlagend und effektiv werden konnte. Genau diese Unberechenbarkeit schüchtert auch die Polizei ein. Da gibt es keine Organisation, die man dafür verantwortlich machen kann. Es gibt keine Demo-OrdnerInnen, die man zur Rechenschaft ziehen kann. Diese Versammlung passt in kein Schema der linken Strategie. Und genau das ist ihr Vorteil.

Wenn man genau das verstanden hat, dann braucht man auch nicht mehr über die Vermittlung unserer Meinung an die BürgerInnen nachzudenken: Wir haben diesen Leuten nichts auf Flugblättern zu erklären. Unsere Wut über die Vorfälle in Griechenland und unsere Verzweiflung über die Zumutungen der Warengesellschaft sind nicht durch eine klassische „linke“ Sprache vermittelbar, die darauf hofft, bei den BürgerInnen Gehör zu finden. Es wird auf diesem Weg nicht funktionieren, und wenn doch, dann nur durch die Transformation einer radikalen Position in die Sprache einer bürgerlichen Interessengruppe. Genau deshalb müssen wir nicht „Polizeistaat“ rufen und hoffen, dass die fränkischen Bratwurstbräter in unseren Klagechor mit einstimmen. Wer verstanden hat, dass man solche Aktionen wie am 13.12. zuerst einmal für sich macht, und nicht für die deutschen BürgerInnen, und schon gar nicht für ein noch nicht einmal ansatzweise entbarbarisiertes fränkisches Landvolk, die/der hat schon viel verstanden. Obwohl wir die spontane Versammlung am Samstag keinesfalls als „Ausschreitung“ bezeichnen würden (da haben radikale Linke schon weitaus bessere Krawalle hingekriegt), hat jene temporäre Verstörung der Würzburger Prüderie anscheinend genau die Leute empört, die man damit aus ihrer Ruhe bringen wollte. Wenn in etlichen Kommentaren im Internet zu lesen ist, man solle das randalierende „Asoziale Pack“ ins Arbeitslager stecken, dann wissen wir spätestens, dass man am Samstag das Richtige getan hat. Und wenn die so genannten Würzburger Krawalle von der Ostsee bis Niederbayern in Tageszeitungen erscheinen, wessen subversives Herz lacht da nicht vor bittersüßer Freude.

Für uns gilt es nun, praktische Solidarität zu üben für unsere GenossInnen, die nach der spontanen Versammlung mit verschiedenen Vorwürfen belastet werden und bald mit den juristischen Folgen der spontanen Versammlung zu kämpfen haben. Sie benötigen unsere Zuwendung, um die kommenden Verhandlungen durchzustehen. Andererseits werden sie mit Sicherheit auch finanzielle Unterstützung benötigen.

Noch kann von niemandem wirklich begriffen werden, was der 13.12.2008. für die radikale Linke in Unterfranken bedeutet. Dieser denkwürdige Samstag bleibt für uns mit der Hoffnung verbunden, dass die Unberechenbarkeit zur Tugend wird. Dass die Aktionen der so genannten Autonomen derart unüberschaubar, unvorhersehbar, unbändigbar werden, dass sich weder Parteien mit ihnen abgeben wollen, noch dass sie in irgendeine Polizeistrategie passen würden. Wir wollen hoffen, dass an den Geist vom 13.12. angeknüpft werden kann, wenn es um die Kämpfe der Zukunft geht.

Gruppe exIL

Infoladenwuerzburg.blogsport.de

Email der Soligruppe: soligruppe@yahoo.com

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13.12.2008 #3

Hahaha. Grossartig.

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13.12.2008 #2

Ein lustiges Video. Bitte v.a. auch die Marktfrau beachten.

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13.12.2008

Es stellt sich zunächst eine grundsätzliche, strategische Frage, und sie ist vorgestern falsch beantwortet worden.

Zunächst macht man keinen Umzug. Punkt. So etwas macht man einfach nicht. Es gibt nichts dümmeres und nichts entfremdeteres, als in einem Umzug in der Gegend herumzulaufen und seine Meinung zu äussern. Und sie am besten noch den Leuten auf Flyern zu erklären. Es gibt hier nichts zu erklären. Es gibt keine Politik zu machen.

Sich solidarisch auf die Ereignisse Griechenland beziehen, und dann als Demo durch die Gegend laufen: das erinnert mich an jene IG Metall-Demo, vor 3 Jahren, auf der man biedere Bürger sehen konnte, die auf Transparenten französische Verhältnisse gefordert haben. Etwas lächerlich. Und vor allem sehr entfremdet.

Wenn ich dagegen in der Zeitung lese, es sei zu sinnloser Gewalt gekommen, dann lacht mein kleines Herz: denn ich weiss: so etwas verdirbt nicht nur den Herren von der Linkspartei ihr demokratisches Geschäft der Seelenfängerei, sondern gibt vielleicht auch – wird man doch hoffen dürfen – insgesamt ein schlechtes Beispiel.

Eine klare Linie zur Linkspartei aber ist noch nicht gezogen und kann nicht gezogen werden, solange sich die einzelnen Personen und Gruppen ihrer wirklichen Stärke noch nicht bewusst sind und vor allem sich nicht bewusst sind der Voraussetzungen dieser Stärke. Schluss mit der Politik.

Und dennoch: was vorgestern in Würzburg geschehen ist, ist in unserer Epoche neu, und eröffnet eine neue area. Wann man die Tragweite dieser Sache überschauen können wird, weiss ich noch nicht. Wir werden es, insha2 allah, sehen.

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Griechenland #2

Hiergibt es wohl neues. So richtig einen Überblick finde ich grade nicht, weiss jemand weitere links?

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Griechenland

Ein willkürlicher Griff:

http://alexisg.blogsport.de/
http://el.blogsport.de/2008/12/09/griots-andreas-alexandros-grigoropoulos/
http://difficultiseasy.blogsport.de/2008/12/09/adventsstimmung/
http://infovs.blogsport.de/2008/12/08/athen-brennt-update/
http://infovs.blogsport.de/2008/12/07/athengriechenland-polizei-erschiesst-jugendlichen-schwere-riots-im-ganzen-land/

Keine Ahnung…

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Waltz with Bashir

Wer den Film gesehen hat, und sich für den Libanon und den Bürgerkrieg interessiert, will vielleicht die elend lange, aber gar nicht schlechte Doku von Al Jazirah (2000) „7arb Libnan“ (15 Folgen) ansehen, die man auf video.google.com unter folgenden Adressen ansehen kann:

The War Of Lebanon – Episode 01 – Baptism of Fire
The War Of Lebanon – Episode 02 – The Roots of Conflict
The War Of Lebanon – Episode 03 – Explosion
The War Of Lebanon – Episode 04 – Death of a Country
The War Of Lebanon – Episode 05 – Damascus Intervenes
The War Of Lebanon – Episode 06 – Fire and Embers
The War Of Lebanon – Episode 07 – Zahle And The Indian Summer
The War Of Lebanon – Episode 08 – Sharon Invades
The War Of Lebanon – Episode 09 – Occupation Of An Arab Capital
The War Of Lebanon – Episode 10 – The Massacre
The War Of Lebanon – Episode 11 – Defeat of a Superpower
The War Of Lebanon – Episode 12 – Chaos
The War Of Lebanon – Episode 13 – Damascus Returns
The War Of Lebanon – Episode 14 – The Storm
The War Of Lebanon – Episode 15 – The Accord to End War

Man muss nur folgendes wissen: 2000 standen nicht nur Syrien, sondern auch Israel noch im Libanon; es war vor der al Aqsa-Intifada; vor 9/11; die Hizbu’llah hatte ihre Waffen noch nicht nach innen gewandt, Aoun war noch in Paris, Geagea noch im Gefängnis, Jumblatt noch Freund Syriens, 7ariri noch ein lebender Halbgott. Das erklärt, das die Hizb vergleichsweise gut wegkommt, Aoun vergleichsweise schlecht, 7ariri gar nicht.

Was seitdem geschah, ist eine andere Geschichte.

Wer sich für das Innenleben der vorwiegend christlichen Miliz von Bashir Gemayel interessiert, kann die Erinnerungen von Robert Hatem („my story about Lebanon’s political underworld“ lesen; der gehörte zu den Leuten um genau den Elie Hobeika, der das Massaker in Sabra kommandiert hat. Man wird keinen unparteiischen Bericht erwarten dürfen („the story of a straight soldier who believed in the Christian cause“); wer das Buch liest, wird eigene Schlüsse ziehen müssen. Ohne Wert wird es nicht sein, wenn man nie vergisst, dass der Autor nie Bashir Gemayel, nur immer seinen ungetreuen Gefolgsleuten Schuld geben wird.

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Hör‘ doch mal Radio…

Hier zwei interessante Links:

Zum einen ein Mitschnitt der Podiumsdiskussion der JungleWorld zur Finanzkrise, u.a. mit Michael Heinrich und Thomas Ebermann.

Zum anderen ein Interview mit dem Unterstützungskommitee aus Tarnac/Frankreich zu den Verhaftungen, die gegen eine herbeihalluzinierte „ultra-gauche“ gerichtet waren.

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Anticomunista.net / dümmer geht ümmer

In Zeiten, in denen man nur den Kopf schütteln kann über die Staatsvergötterung der LINKEN, über den neuen Versuch, eine weitere SPD zu gründen, schaffen es die deutschen GegnerInnen dieser LINKEN tatsächlich, der Dummheit die Krone aufzusetzen.

Denn in Würzburg fühlen sich antikommunistische AktivbürgerInnen tatsächlich dazu gedrängt, über die wahren Absichten der „Linkspartei“ aufzuklären. Deshalb schmücken sie Plakate und Sticker der Linkspartei, ganz im Stile der Kommunikationsguerilla, mit Sprüchen wie „Weil Fleiß nun einmal bestraft gehört: DIE LINKE“.
Die Deutschen bleiben eben fleißig dem Wahn der deutschen Arbeit verpflichtet. Sehen sie selbst, welche geistigen Ausdünstungen die selbsternannten AntikommunistInnen produzieren.
hxxp://anticomunista.net/index.php?option=com_content&task=view&id=22&Itemid=27

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Hören & Schmecken

Die Seite für moderne Kultur

Heute auf kulinarischer Spurensuche in Unterfranken

„Also was soll ich sach, s’is alles a weng annerschder.“ Dieser zentrale Erkenntnisgewinn wurde mir auf einer jüngst gemeinsam mit meiner Liebsten unternommenen, denkwürdigen Exkursion auf den Spuren des umtriebigen jungen Journalisten Hunter S. Heumann zuteil. Mit einer Hand zugleich die Mütze vorrückend und dabei den spärlich behaarten Schädel reibend, sprach der sichtlich erstaunte Herr aus seinem verschmutzten allradgetriebenen Fahrzeug: „Der Fußwech der geht da nauf un nit da rü. Da kömmd ihr jedenfalls nit weider“. Der Einwand es stünde aber so in unserem wirklich tollen Franken-Wanderbuch (1) verhallte im Aufheulen des Gefährts. Wir stapften durch die frisch aufgewühlte Spur zurück zu unserem idyllisch ruhigen Waldweg mit der lustigen „Kelten-Erlebnisweg-Markierung“, der doch eigentlich ein Milansymbol zeigen und vor allem genau in die andere Richtung führen sollte. Nach daraufhin erst einmal zelebrierter Brotzeit und dem Anstellen einiger Betrachtungen über die wirklich spürbar stattgefundenen Veränderungen im ländlichen unterfränkischen Raum – wurden doch die umgemachten Baumstämme gar nicht mehr romantisch mit Hilfe stampfender Kaltblüter aus dem Wald gezogen, sondern gleich im Dutzend abgefahren und waren die schönen Tiersymbole als Wegmarkierungen Lehrtafeln über umweltgerechte Mischwaldnutzung und designeten Plaketten mit irgendwie keltisch sein sollenden Bildlich gewichen – irrten wir ein Weilchen auf neu angelegten Pfaden durch den Iphöfer Stadtforst, um dann die angestrebten Sehenswürdigkeiten: die Beckahanseiche und die Ruine Speckfeld doch noch vorzufinden (keine Neubausiedlung davor gebaut und auch nicht aufwendig restauriert) und den Weg in das schöne Örtchen Markt Einersheim zu finden. Dort trafen wir vor der Bäckerei tatsächlich einige echte Cowboys hoch zu Rosse und zogen daraufhin eilends, doch unter Absingen einiger gebräuchlicher Wanderlieder über die allerdings recht befahrene Straße nach Iphofen ( 2), woselbst wir uns im „Cafè & Weinstube 99er“ (Pfarrgasse 18) sehr eßbaren Kuchen und richtigen Cappuccino (ganz ohne die Frage: „mit Milchschaum oder Sahne“) auftischen ließen bevor wir den Wegweisern nach dem Schwanberg folgten, wo wir unser Automobil abgestellt hatten. Dieses hatte eigentlich auf einem groß in unserer Wanderkarte von 1978 markierten Parkplatz in Rödelsee seinen Platz finden sollen, an dessen ursprünglichem Orte nun aber die wohl häßlichste Neubausiedlung des Universums gerade im Entstehen begriffen ist. (Was übrigens ein echtes Fressen für den Herrn Heumann gewesen wäre, wo er realiter vorhandene Scheußlichkeiten zuhauf hätte finden können.) Tja, so fuhren wir auf der Suche nach einem Wanderparkplatz, weil ja sonst das Wandern nicht gehen tut, bis hinauf auf den Schwanberg, der doch schon die Zwischenetappe hätte sein sollen und wo wir dem schönen Milanwanderpfad weiter hätten folgen wollen. Naja. Ein etwas aktuelleres Kartenmaterial hätten wir doch gebraucht. Aber bei der Vorbereitung dieser Erkundungsreise ins unbekannte Umland der mainfränkischen Metropole Würzburg war uns das bereits erwähnte wirklich tolle Wanderbuch mit Karten aus alten Wohngemeinschaftsbeständen in die Hände geraten. Das Bild vom Bauern mit dem dampfenden Pferdegespann in der frühen Morgensonne hatte den Ausschlag gegeben: „Wir machen eine Landpartie!“ Gesagt getan; noch einmal in Herrn Heumanns Reportage über die schröckliche Kreisstadt Kitzingen nachgeschlagen, das Buch vom Staub befreit und uns grob orientiert: „Das ist doch da, wo man im Zug nach Nürnberg immer bloß an der Gipsfabrik langfährt?“ „Naja, ein Stück weiter oben halt.“ „Aber da ist doch ein Bahnhof, da könnten wir doch die Bahn nehmen.“ „Pff! Ich habe mir aber extra ein Auto ausgeliehen! Und ich will auf der Hinfahrt diese zwei schiefen Türme von Kitzingen sehen, ich war da noch überhaupt nie!“ Und da hat dann meine Freundschaft mit dem jungen Kollegen Heumann doch einen leichten Knacks abbekommen. Denn da steht, wie wir bei unserer Fahrt durch die baustellengeplagte Kreisstadt ganz einwandfrei feststellen konnten, lediglich ein – allerdings „scho g’scheid“ – schiefer Turm herum und bei der Frage nach dem weltberühmten Butterbrotmuseum wollte kein einziger der einheimischen Jugendlichen von dessen Existenz gehört haben, die Erwachsenen hatten sich gar nicht erst mit uns abgegeben. Aber ehrlich, diese Stadt ist so häßlich, warum muß er da noch schmähendes dazu erfinden? Und dann noch in unserem Blatt, das doch für seine journalistische Akkuratesse weithin gerühmt wird?? Und wieso bloß habe ich ihm nach so vielen Jahren im Geschäft aufs Wort geglaubt??? Doch die Freuden des ländlichen Wanderns und die trotz maschinisierter Landwirtschaft noch recht ursprüngliche fränkische Landschaft mit ihren freundlichen und aufgeschlossenen Einheimischen hatten mich bald wieder friedlich gestimmt. Er hat ja schon recht, der Heumann: Man muß gelegentlich mal aus der Hektik der Großstadt hinaus und das Land anschauen. Zurück in Würzburg hat mich dann am nächsten Tag erst einmal der Schlag getroffen: Noch bevor ich meinen Frühstückskaffee zu mir nehmen konnte, erreichte mich die Schlagzeile der Konkurrenz: „Kaiman Charly unter mysteriösen Umständen entführt. Verschwundener Kulturredaktör unter dringendem Tatverdacht“. Der Kollege gab mir noch den Tipp: „Hau mal besser ab, da kommt sicher gleich jemand von der Polizei hier vorbei!“ Ich hielt mich dann ein paar Tage versteckt, bis ich am 27ten August in der Mainpost den reißerisch aufgemachten Artikel einer ehemaligen Praktikantin unseres Blattes lesen mußte, nun ja unter den gegebenen Umständen: lesen durfte: „Ein Küßchen für Kaiman Charly. Gesundheits-Beamte überrascht: Verschwundener Alligator sitzt im Innenhof“ (3). Das verschwundene Mistvieh von Krokodil ist ausgerechnet auf dem Parkplatz des Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit wieder aufgetaucht. Mann! Wollte der verhinderte Alligatorkoch wohl auch noch einen Fleischbeschaustempel auf dem armen Tierchen haben? Und ich schreib noch: Nicht den Alligator aus dem Terrarium nehmen! Und der Herr Wolfgang Glücker, der als Polizeisprecher so etwas von Amts wegen zu Journalisten sagt, hat versprochen, daß wenn der Täter gefaßt werden würde, dieser mit Geld oder Freiheitsstrafe bedroht sei. Nun gut, jetzt wo das Tier wieder bei seiner Tiertrainerin Diana Antoine sein darf, sucht die unterfränkische Polizei vielleicht nicht mehr so dolle nach dem Täter – Gefahr für Leib und Leben des Kaimans scheint ja gebannt – und sie lesen nicht doch noch alle meine alten Rezepte durch. Uijuijui. Noch mal richtig Glück gehabt. Pffft!
Deshalb gibt es dieses Mal wirklich bloß vegetarisch – und auch ausschließlich von solchem Gemüse, das nicht auf irgendwelchen Reptilienshows vorgeführt werden kann, sondern hier wächst und alle längst langweilt. Der Job hier ist mir allmählich wirklich gefährlich genug.

Herbstliches Menü
Piroggen gefüllt mit Pilzen und Nüssen
Gemüsesuppe mit Pfannkuchenstreifen
Gebackener Blumenkohl, dazu gebratene Kartoffeln, Erbsen in weißer Sauce und gemischter Salat
Pfannkuchen gefüllt mit geeister Melone

Für die Piroggen eine Packung gefrorenen Blätterteig auf einem bemehlten Backbrett auftauen lassen, mit Mehl bestreuen und mit dem Nudelholz auf etwa die doppelte Größe auswellen; mit einer Milchkaffeetasse insgesamt 16 Teigkreise ausstechen. Teigüberschuß kann ganz einfach noch einmal geknetet und ausgewellt werden, ergibt zusammengerollt z.B. Hörnchen. Eine Packung Champignon in feine Scheiben schneiden, zwei rote Zwiebeln sehr fein würfeln, einen Bund Petersilie ebenfalls sehr fein hacken, etwa 100g. festen Käse (Peccorino etwa) fein reiben, ca. 16 Walnüsse grob hacken. Eine Pfanne mit Butter erhitzen, zunächst die Zwiebeln glasig dünsten, pfeffern und salzen, dann die Pilze dazu geben und kurz anbraten, einen Eßlöffel Mehl einstreuen, sehr stark umrühren, mit etwas Weißwein und einem halben Becher Sahne ablöschen und solange auf sehr kleiner Flamme garen bis die Masse eingedickt ist. Die Pfanne vom Herd nehmen, etwas abkühlen lassen, dann die Petersilie, den Käse und die gehackten Nüsse unterrühren. Zwei Eier trennen, Eigelb und Eiweiß jeweils etwas schlagen und getrennt aufbewahren. Die Hälfte der Teigkreise auf ein gefettetes Blech setzen und die Masse sorgfältig in die Mitte geben. Mit dem Eiweiß die frei gebliebene Fläche einstreichen, die restlichen Teigkreise als Deckel aufsetzen, festdrücken und vorsichtig in Bootsform ziehen. Jetzt mit dem Eigelb bestreichen und im vorgeheizten Ofen bei 170° backen bis die Piroggen aufgegangen und schön goldgelb sind, das dauert etwa 15-20min. Heiß servieren. (Das Gericht eignet sich auch ganz prima – dann eben kalt – als Partymitbringsel!)

Für die Gemüsesuppe zunächst fünf Pfannkuchen herstellen. Fünf Eier, fünf Tassen Mehl, fünf Tassen Milch, einen Eßlöffel Zucker, eine Prise Salz gründlich verquirlen und in einer flachen Pfanne eben die fünf Dingerda ausbacken. Vier Pfannkuchen für den Nachtisch aufheben, einen Pfannkuchen aufrollen und in dünne Scheiben schneiden. Vier Karotten schälen und in Würfel schneiden, mit einer Petersilienwurzel genauso verfahren, eine Kohlrabi schälen und in längliche Streifen schneiden, eine Stange Lauch in Ringe schneiden, in einem Sieb noch einmal gründlich waschen. In einem Topf reichlich Butter erhitzen, erst die Karotten, dann nach und nach die anderen Gemüse zugeben, mit einem Liter heißer Gemüsebrühe ablöschen und noch einige Zeit köcheln lassen; kurz vor dem Servieren die Pfannkuchenstreifen in einer Pfanne noch einmal kräftig anbraten und portionsweise in die Suppe geben, einige kleingezupfte Kräuter oben auf streuen und servieren.

Einen großen Blumenkohl in kochendem Salzwasser nur kurz ankochen. Den Kohlkopf herausnehmen und das Kochwasser aufbewahren. In einer Pfanne Butter erhitzen, darin vier Eßlöffel Semmelbrösel mit reichlich Salz anrösten, abkühlen lassen und mit 200g geriebenem Parmesan vermengen. Ein Backblech einfetten, den Blumenkohl darauf setzen, mit Butterflocken und der Semmelbrösel-Parmesanmischung bestreuen und im vorgeheizten Ofen bei 170° backen bis der Käse gut bräunt – so etwa 15min. Für die Sauce eine fein gewürfelte Zwiebel in Butter glasig dünsten, eine Tasse Mehl einrühren und bevor das Mehl braun wird ½ l. Milch angießen und unter ständigem Rühren aufkochen. Ein Pfund gefrorener Erbsen dazu geben und noch ca. einen ½ l. der Kochbrühe zugeben. Mit Muskat, Salz und weißem Pfeffer würzen und unter Rühren solange kochen, bis die Sauce dick und sämig ist. (Falls sie zu sehr eindickt etwas Kochbrühe zugeben). Ein Dutzend kleine Kartoffeln in der Schale kochen, abschrecken und pellen; in einer Pfanne langsam anbraten. Den Blumenkohl aus dem Ofen nehmen, in vier Teile schneiden und auf je einen vorgewärmten großen Teller geben, die Soße daneben gießen, die Kartoffeln daneben anrichten und mit grob gehackter Petersilie garnieren. Einen Salat werdet ihr schon selbst zustande bringen!

Für das Dessert eine nicht zu große Melone aufschneiden, entkernen und in recht kleine Schnitze schneiden und in einer Schüssel ins Eisfach geben, gelegentlich einmal umrühren und wieder zurückstellen. Schlagsahne herstellen. Die vier Pfannkuchen in der Pfanne noch einmal aufwärmen, evtl. im noch warmen Herd warmstellen. Die heißen Pfannkuchen mit den eiskalten Melonen füllen, hübsch zufalten und mit der Sahne umgehend auf einem Teller sevieren. Als Deko z.B. eine Banane in Streifen schneiden, etwas Karamelsoße über die Pfannkuchen geben und darauf die Bananen legen, jetzt noch etwas Puderzucker – wouwh!

Von Rainer Bakonyi

(1) Konrad Fleischmann: Das Frankenwanderbuch. Zwischen Main und Donau mit Begleitheft für alle Touren, zweite neubearbeitete Auflage München, Wien, Zürich 1981(zuerst 1978)
(2) Alles Wissenswerte über diese sympathische Stadt findet sich im: „Stadtplan Iphofen. Eine Weinstadt mit Kultur“ O.J.o.O.)
(3) MAIN POST Mittwoch, 27. August 2008 – Nr.199 WÜS – Seite 25, dort werden unter www.mainpost.de auch „Bilder und Video von der Fangaktion“ angeprießen.

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