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Nachtrag zu den Studiengebühren

Die Studiengebühren sind eingeführt, und es ist immer noch nicht ersichtlich, dass die Angehörigen der weniger zahlungsfähigen Schichten in Massen die Universität verlassen oder gar nicht erst betreten. Diejenigen Linken, die sich auf das Feindbild der sogenannten Eliten eingeschossen haben, bringen nur zum Ausdruck, dass sie nie irgendetwas begriffen hatten: die Studiengebühren sind nicht zuerst ein Mittel zur Aufrechterhaltung der Privilegien irgendeiner Schicht, sie sind vor allem ein Mittel der Disziplinierung, oder vielmehr der Konsekration der Disziplin, aller Studierenden gleich welcher Schicht.

Wer das erste kritisiert, kann das zweite nicht mehr kritisieren. In der Auseinandersetzung zwischen fleissigen und arbeitsamen Angehörigen aufstiegsorientierter Schichten und den privilegierten rich kids haben jedenfalls Kommunist/innen keine Stimme. Die Disziplin ist es, die angegriffen werden muss, die bedrückende Arbeitsamkeit, diese gemeinsame Sache des Staates und der passiven Mehrheit.

Wer nichts anderes gefordert hat als mehr und bessere Bildung, wird nichts anderes bekommen als mehr und bessere Bildung. Der tiefe Konformismus solcher Forderungen mag für das lähmende Bewusstsein mit verantwortlich gewesen sein, dass es ja doch nichts bringe; denn es war zu greifen, dass man sich in dieser Auseinandersetzung auf demselben Boden bewegte. (1)

Der eigentliche Kampf wäre nicht der zweier Schichten, sondern der gegen die Disziplin; sowohl gegen die Unterwerfung als auch gegen die Tatsache, dass alles immer weitergeht. Diesen Kampf hat die Linke nicht verloren, sie hat ihn nicht geführt und konnte ihn nicht führen. Lässt er sich besser führen jetzt, nach ihrer Niederlage? Man wird es wissen, wenn man es versucht hat.

Immer und immer das selbe zu sagen, wie ich es hasse. How many nights I prayed for this: to let my work begin.

Von Jörg Finkenberger

1 Neoliberalismus nennen sie das ganze, Herr G*tt! Und fordern, dass Bildung keine Ware sei; dabei meinen sie nur, dass sie ihnen zu teuer ist. Kann man die Segnungen des Staates zu anderen Bedingungen haben, als er sie gibt? Genauer gesagt: mit welchem Argument will man andere Bedingungen der Hauptsache, solange man sie für eine Segnung hält.

Akademische Bildung ist nicht nur schon immer eine Ware, sie ist schlimmeres: sie ist eine Veranstaltung, mit der jedem Gegenstand noch das letzte Negative ausgetrieben wird und werden muss. Ob die Universitäten, gegen den Willen ihrer Herren, sinnvoll zweckentfremdet werden können: das ist freilich eine andere, praktische Frage. Kämpfe der Studierenden für, statt gegen, das Studium jedenfalls sind nicht verallgemeinerungsfähig und damit direkt konterrevolutionär: sie richten sich nicht gegen die Gesellschaft der Klassen, sondern bestätigen sie.

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Der Verdacht

Heute macht man sich nicht mehr strafbar, man macht sich verdächtig. Der Zweck, zu terrorisieren, dem einmal die Strafe diente, wird heute erreicht durch die Befürchtung, einen Verdacht auf sich zu ziehen.

Dass unschuldig ist, wem eine Schuld noch nicht nachgewiesen worden ist, das steht noch im Gesetz, ein letztes stolzes Standbild eines versunkenen Liberalismus; die heutige Epoche, ohne mit der äusseren Form des Liberalismus brechen zu müssen, bringt die dunkle Umkehrung dieses Satzes zur Erscheinung. Es nützt nichts mehr, unschuldig zu sein. Nur, wer sich nichts vorzuwerfen hat, muss etwas befürchten.

Es ist, nach den Grundsätzen des liberalen Staates, Sache des Staates, den Beweis der Schuld zu führen; der/die Beschuldigte ist nicht einmal zur Mitwirkung verpflichtet. Er/sie hat aber, und das macht den Unterschied, jede nur denkbare Belästigung zu dulden: man kann ihm/ihr die Wohnung durchsuchen und überwachen, das Telefon überwachen, das Fahrzeug mit einem Peilsender versehen, sein Mobiltelefon orten, seine Kartenzahlungen überwachen, das Verbindungsdaten im Internet auswerten, alle seine/ihre Bekannten derselben Durchleuchtung unterziehen. Bald wird man Autobahnfahrten nachverfolgen, Fussgänge in den Städten elektronisch auf den Kameras verfolgen und auf die Inhalte seiner/ihrer Festplatten zugreifen können.

Und so gerät der/die Verdächtige in die Lage, seine/ihre Unschuld erweisen zu müssen, nicht einmal oder zweimal vor einem Gericht, sondern 24 Stunden am Tag. Und niemand weiss, ob und wann man sich verdächtig macht, denn niemand kennt die auffälligen Merkmale; nicht einmal die, die nach ihnen suchen. (Nur wer sich etwas vorzuwerfen hat, weiss ohne weiteres, was er/sie zu verbergen hat. Alle anderen müssen raten.)(1)

Neu an alle dem ist, dass das Regime des Verdachts für den Zweck, zu terrorisieren, ausreicht. Das liegt nicht nur an den völlig neuen technischen Möglichkeiten; das sind sowieso nur gegenständliche Erscheinungen gesellschaftlicher Kämpfe. Es liegt, und daraufhin sind die technischen Mittel zu dechiffrieren, an einer völlig neuen Stufe der Verinnerlichung gesellschaftlicher Herrschaft, die seit einigen Jahrzehnten im Lauf ist; an einer gewissen Verlagerung des Punktes, an dem die Kontrolle ansetzt, in das Innere der Einzelnen hinein. Ohne das in voller Schärfe zu erkennen, ist keine Gegenwehr möglich.

Die so genannte Vorratsdatenspeicherung wurde nötig, weil es für den Staat immer schwieriger ist, die Inhalte der Kommunikation zu überwachen. Heute ist es, ohne jeden Aufwand, möglich, Kommunikation vollständig zu verschlüsseln; zwar mit geheimdienstlichen Mitteln zu knacken, aber nicht für die alltägliche Ermittlungsarbeit. Das ist das Ergebnis eines Kampfes, in dem der Staat eine Runde verloren hat; damit ist der Kampf auf dem nächsten Level.

Die akkumulierten Verkehrsdaten (grob gesagt: wer kontaktiert wen?) lassen sich, zu anderen Zwecken, genausogut gebrauchen. Werden sie, in riesigen Datenbanken, zusammengebracht und mit den Mitteln des data mining sortiert, liefern sie Aufschlüsse über Kommunikationsstrukturen, die das gesellschaftliche Verhalten der Einzelnen wahrscheinlich durchsichtiger machen, als es diesen selbst ist.

Es ist gerade die Eigenart von Methoden wie data mining, Merkmale zu finden, auch ohne zu wissen, nach welchen Merkmalen gesucht werden muss. Das zu Daten formatierte akkumulierte Wissen zeigt die Strukturen auf, auf deren Grundlage erst klar wird, was als normal und was als abweichend zu gelten hat. In einer längst (auch ein Ergebnis bisheriger Kämpfe) nicht mehr eindeutig normierten Gesellschaft ist diese Methode der Datenverarbeitung eine Herrschaftswissenschaft im Wortsinne. Ihr ist im Übrigen noch anzusehen, dass sie aus dem Marketing stammt.

Noch bestehen die rechtlichen Möglichkeiten nicht, die anfallenden Daten auf eine solche Weise zu nutzen; aber es wäre naiv, zu glauben, dass das so bleiben wird. Die Daten fallen ab 1.1.2008 an; nach der Logik der Dinge werden sie , nach ihren Möglichkeiten, nutzbar gemacht werden.

Das selbe gilt von den Daten der Überwachungskameras in den Städten und und an den Autbahnen, die biometrische Merkmale und Autokennzeichen elektronisch erkennbar machen. Sie sind überhaupt zu keinem anderen Zweck nutzbar, als Bewegungsprofile zu erzeugen; ausser vielleicht dazu, Propagandavideos für gescheiterte Wahlkämpfer zu liefern.

Niemand weiss, wie das Verfassungsgericht über die Vorratsdatenspeicherung entscheiden wird; nach der juristischen Literatur zu urteilen, wird sie sie verbieten oder stark einschränken. Nach der bisherigen Erfahrung mit eineinhalb Jahrzehnten sogenannter Sicherheitspolitik wird man jetzt schon sagen können, dass sich die Innenminister davon nicht werde aufhalten lassen.

Es ist ohnehin nicht ein Frage dieser oder jener einzelnen Regelung. Data mining liefert denen, die es angeht, längst die Möglichkeiten, mehr über irgendeine Person zu wissen, als diese selbst. Die Hotlines, in denen gute und schlechte Risiken bereits nach ihrer Postleitzahl sortiert werden, sind nur das sprichwörtliche Beispiel; insgesamt tut man gut daran, die erwünschten Merkmale aufzuweisen, welche das auch immer sein mögen. Man hat natürlich besser keine Brüche im Lebenslauf, man hat besser geputzte Schuhe, wenn der Durchschnitt das auch hat. Man liefert besser ein Bild, das im Rahmen der Erwartung bleibt. Ausgefallen darf man sein, denn das sind alle. Aber es gibt überall eine für alle unsichtbare Linie, hinter der man ausserhalb der Norm steht. Man muss es nicht wissen, es reicht, dass man es ist.

Man entwickelt besser, mit einem Satz gesagt, selbst ein Gespür dafür, was akzeptabel ist und was nicht. Man nimmt besser, das ist das selbe, die Masstäbe der Unterwerfung ganz, und freiwillig, in sich auf. Nicht die äusserliche Kontrolle, die blosse Disziplinierung: die innere Unterwerfung allein befähigt, angesichts völlig unbestimmbarer Kriterien dennoch immer auf der richtigen Seite zu stehen.

Man kann dem Kapital und dem Staat das alles nicht ernsthaft zum Vorwurf machen. Katzen (sit venia verbo) fangen Mäuse. Das das Proletariat dergleichen mit sich machen lässt; die zum Speien erbärmliche Bereitschaft der Massen, sich zu unterwerfen, das ist der eigentliche Gegner. Nicht die Herrschaft definiert die Kriterien normalen oder abweichenden Verhaltens, sondern die Masse der Beherrschten; durch ebendiese, je nachdem mehr oder weniger grosse, Bereitschaft zur Unterwerfung.

Nur zu spät gekommene Liberale, wie der Chaos Computer Club, hoffen darauf, dass die Gesellschaft ihre Freiheiten verteidigen werden; sie lassen sich sogar auf die alberne Abwägung von „Freiheit“ gegen „Sicherheit“ ein, als ob nicht alle wüssten, dass die „Sicherheit“ nicht nur unsere Sicherheit nicht ist, sondern sogar das Gegenteil davon. Die bürgerlichen Freiheiten mögen unerlässlich sein, um in dieser Gesellschaft zu überleben; sie werden nur nicht zu halten sein. Die Gesellschaft wird sich nicht gegen die autoritären Tendenzen des Staates liberal auflehnen; sie befindet sich nicht in Opposition zu ihm, ihre Ziele sind die seinen. Der Staat vollzieht nur nach, was sie vorgemacht hat: er ist die juristische Form ihres freiwilligen Konformismus.

Nicht nur unschuldig, sondern verdächtig ist, wessen Schuld nicht bewiesen ist. Und glücklich, wer weiss, wessen er/sie sich verdächtig machen könnte; er kann Vorkehrungen treffen. Die Unschuldigen aber haben keine Chance: ihnen kann man alles anhängen, sie können das Gegenteil nicht beweisen. Es empfiehlt sich nicht mehr, unschuldig zu sein.

Soll man also, im blinden Vertrauen darauf, dass der Staat mit den neuen Befugnissen nur denen Ärger bereiten werde, bei denen es ihm gerade gelegen kommt; soll man sich auf das dreckige Spiel einlassen, und versuchen, keinen Anlass zu geben? Dann soll man velleicht dieses Heft aus der Hand legen; ich hoffe, es könnte dereinst Teil einer realen Bedrohung zu werden. Es käme darauf an, keine verdächtige Bewegung mehr zu vermeiden; bewusst abzuweichen; Möglichkeiten von Unbeugsamkeit und Unberechenbarkeit auszuloten.

Für den beschränkten Bereich der Kommunikation im Internet heisst das, dafür zu sorgen, dass möglichst grosse Mengen an Entropie entstehen. Je grösser, grob gesagt, die Menge an verschlüsselten oder nicht zuordenbaren Daten gegenüber den brauchbaren, desto geringer die Möglichkeiten der Überwachung. Unverschlüsselte Kommunkation ist auch dann nicht mehr akzeptabel, wenn wir richtigerweise davon ausgehen, dass uns wahrscheinlich niemand nachstellt. Im Gegenteil ist die bewusste Verdunkelung, die Verweigerung der freiwilligen Transparenz, die angemessene Form von Widerstand einer Gesellschaft gegenüber, die keine wirklichen Feinde, sondern nur mehr oder weniger konformierende Unterworfene kennt.

Jenseits des elektronischen Horizonts, im real life, sind, nach dem selben Prinzip, weiter greifende Folgerungen zu ziehen. Sie sind oft genug erörtert worden und werden von mir auch noch bis zum Ekel, und in der selben abstrakten Form, erörtert werden. Man soll nicht erwarten, in einem Organ der bloss theoretischen Kritik praktische Vorschläge zu finden; wir werden uns hüten. Die praktische Kritik entsteht, für jetzt, in denen, die lesen, oder nirgendwo.

Von Jörg Finkenberger

1 Jede technische Massnahme kann, mit Aufwand, umgangen werden. Wer sich nichts konkretes vorzuwerfen hat, wird in der Regel den Aufwand scheuen. Daraus ergibt sich die wirkliche Zielrichtung der Massnahme: die Unschuldigen. Die Unschuldigen sind selbst schuld: sie sind selbst die, die noch jede Massnahme rechtfertigen. Woraus man ersieht, dass das Verbrechen auch nicht der wirkliche Feind dieser Unschuldigen ist, sondern die Abweichung in den eigenen Reihen.

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Hahaha

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Neues vom Keil

Der Monolog des Huoberbauern aus dem Bauernvergewaltiger: Jetzt auch in einer arabischen Fassung, vorgetragen vom erstaunlichen „Dr.“ Samir Geagea.

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Blogs, die Würzburg braucht (#1)

Heute: Würzburgs „verrückteste“ WG isst „Scampy.“

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sehr geehrter wuerzblog.de,

bitte nimm uns doch von deiner link-liste freiwillig wieder runter. wir sind nichts, womit würzburg sich schmücken kann, wir tragen nicht dazu bei, das leben in dieser stadt so wunderbärchen zu machen, wie es deiner meinung nach zweifellos ist, wir sind das abstossende gegenteil davon, und es ist sicher keine gute idee, uns auf den gedanken zu bringen, dass etwas, was freiwillig nicht gemacht wird, gemacht werden könnte, wenn man ein bisschen nachhilft.

meinst du nicht auch?

p.s. und behalte deine stupide leserschaft bei dir, in unserer kommentarspalte wollen wir sie nicht. und auch in keiner unser anderen spalten.

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Szene verrecke

1.
Dass dieses Leben, das wir führen, keines ist, ist mittlerweile hinlänglich bewiesen. Und ebenso klar ist, dass die Mittel dafür vorhanden wären, die tägliche Degradation hinter sich zu lassen und etwas neues anzufangen, der niemals endenden Zumutung einen Angriff entgegenzusetzen, der überraschend sein könnte, weil er unberechenbar wäre.

Alles, dessen es bedürfte, wäre, die Lethargie abzuschütteln, die uns freilich in ihrem Würgegriff hält; jeder Widerstand gegen die unfassbare Stummheit des Zwanges realisiert sich unter diesen Verhältnissen in der Selbstzerstörung. Die erstaunliche Stabilität der gesellchaftlichen Herrschaft hat kein anderes Geheimnis: wer sich unfähig fühlt, sich ihr anzupassen, ist damit noch lange nicht unerschrocken genug, ihr wirklich zu widerstehen.

Noch das Bewusstsein der Unerträglichkeit bewegt nicht, es lähmt. Und je klarer das Bewusstsein, desto gefährdeter das Überleben. Die Isolation der Einzelnen verdichtet sich, wo sie bewusst und schmerzhaft wird, zur völligen Einsamkeit. Und noch in unserer Mitte kann man sehr einsam sein.

2.
Natürlich müsste man nämlich Konsequenzen ziehen, und natürlich könnte man das auch. Wir hätten in der Tat nichts zu verlieren als unsere Ketten, aber wir hätten eine Welt zu gewinnen. Lieber aber ertragen wir unser so genanntes Leben, mit einer Attitude, die unseren Kollegen in den Fabriken gar nicht mehr so unähnlich ist: die erzwungene Bohemität unserer Existenz mit Stolz, statt mit Abscheu, zur Schau stellend, in den eigenen Beschränkungen uns mit Stolz einrichtend; wir klammern uns noch an die ödesten Tröstungen, mit dem sicheren Bewusstsein, dass, wer sich daran nicht mehr festhalten kann, abstürzen wird.

Nichts liegt den Verzweifelten ferner als die gemeinsame Aktion. Das letzte, weil unwiderlegliche Argument ist immer dies, dass alle anderen sicher nicht mitmachen würden. Man muss sie sich doch nur einmal anschauen! Und in der Tat. Aber die Isolation wird damit im selben Akt, in dem sie als zu zerbrechend erkannt wird, heilig gesprochen.

Dieses Produktionsverhältnis der Lethargie nenne ich die Szene. Diese Szene als Lebensweise ist als erstes abzuschaffen; der falsche Frieden, der ihr Betriebsklima ist, ist aufzukündigen. Sie ist nichts anderes als das Verhältnis, in dem Vereinsamte zueinander stehen, wenn sie sich in dem dürftigen Rest von Leben, das sie führen, bestätigen; sie ist, als unbedingt konterrevolutionärer Faktor, insofern eine staatsnotwendige Einrichtung mit unbestreitbarem pädagogischem Wert.

Nicht alle sind übrigens verloren, man kann auch aus der Szene heraus die Integration in die bürgerliche Geschäftswelt erlernen, denn sie ist selbst nach der Logik der Ware geordnet; eine blosse Filiale der Gesellschaft, mit ihrer eigenen Hierarchie und ihren eigenen Intrigen; sogar die Kunst, das Theater, jede falsche Münze ist hier noch in Kurs. Die Szene erweist sich so als in allen Punkten unter dem Niveau ihrer Zeit, nur nicht in dem einen, dass sie vollkommen ohne jedes Gedächtnis ist.

Es sagt viel, dass Punk heute unter der Rubrik Jugendkultur verwaltet werden kann, und dies offensichtlich nicht Lüge genug ist, als dass gegen eine solcher Erniedrigung handgreiflich vorgegangen würde.

3. Was hat die Welt uns noch zu bieten? Wenn dies kein Leben ist, das wir führen, was hindert uns, das unsere da zu suchen, wo man es nicht vermutet, und wo man nicht vorhersieht, dass wir es suchen? Das Proletariat hat in der Vergangenheit aus diesem Paradox seine Revolten gemacht. Wer garantiert, dass nicht hier ein Punkt liegt, von dem aus an diese Revolten anzuknüpfen wäre?

Worin, ich habe es nicht begriffen, besteht die besondere Notwendigkeit, zu lernen und zu arbeiten, damit man sich einen Plasmafernseher kaufen kann? Kompensiert die Erniedrigung, vom Fernsehprogramm für einen Idioten erklärt zu werden, die Erniedrigung, durch die Arbeit tatsächlich zum Idioten sich zu machen? Warum ein Studium auch noch bezahlen, wenn man dadurch im besten Falle zu einem Lehrer oder zu einem Anwalt wird? Die Knechtschaft der Lohnarbeit setzt uns in den Stand, uns nichts anderes als Waren zu kaufen: aber gibt es, was wir brauchen, auf dem Markt?

Nicht einmal plündern möchte ich diese Städte. Sie haben nichts, was zu irgend etwas nütze ist. Die Schaufenster locken mich nicht, ich habe nie etwas gekauft, das keine Unverschämtheit gewesen wäre. Das sind die Produkte dieser Menschheit: nutzloser Schrott. Das ist der Inhalt ihrer Arbeit. Wenn ich riskiere, dies alles zu verlieren: was riskiere ich?

Alles könnte möglich sein, jede Drohung hätte ihren Schrecken verloren.

4. Aber der Schrecken, den uns die Verhältnisse einjagen, bleibt uns, als ein Mal der Gewalt. In ihm macht sich auf verdrehte Weise die Wahrheit geltend, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen ist; Freiheit für die Einzelnen wäre nur möglich in einer befreiten Gesellschaft, denn die wirkliche falsche Gesellschaft duldet kein Leben neben sich.

Die abstrakte Stärke, nichts zu verlieren zu haben, erweist sich als wirkliche Schwäche, ja als Schatten der Katastrofe; diejenigen, die nicht einverstanden sind, sind gezeichnet.

Der Druck nimmt zu, und es sind zunächst die bewusstesten, die an ihm zerbrechen; die anderen können sich noch eine Weile die Illusion machen, dass es noch einen Weg zurück gäbe, und manche mögen ihn auch finden; um diese ist es uns nicht schade. Der Weg, den wir gehen, nicht weil wir ihn gewählt haben, sondern weil es an einem bestimmten Punkt keinen anderen gegeben hat, führt aber nur in eine Richtung, und von den vielen Möglichkeiten bleibt nur noch eine.

Was hat solche Gewalt über uns, und das zu nehmen, was uns doch möglich wäre? Wieso erscheint der Suizid als derartig konsequent? Wieso, in einem Satz, geht einer von uns eines Tages aus dem Haus und springt von einer Brücke?

Dieses entsetzliche Rätsel macht uns hilflos, weil es unsere wirkliche Hilflosigkeit auf den Punkt bringt: nichts unterscheidet uns nämlich von ihm, und sein Tod hat ein Urteil über unser Leben gesprochen, das wir nicht mehr widerlegen können. Ich wünschte, nur dies eine Mal, dass er Unrecht gehabt haben könnte: aber ich sehe es noch nicht.

Der Schluss, den er getroffen hat, macht mich ratlos; die Voraussetzungen aber kann ich nicht bestreiten. Ja, es lohnt sich nicht, dieses Leben zu führen. Und die Mittel, es zu ändern, liegen nicht in unserer Hand. Die Konsequenz daraus macht mich irre, weil ich sie nicht will. Aber sie ist gezogen. So weit ist es gekommen.

5. Ausgerechnet dieser eine wird nicht mehr bei uns sein. Der bürgerliche Zynismus hat den Satz erfunden, dass das Leben weitergeht: aber was für ein Leben? Dass alles weitergeht, das ist die Katastrofe.

Nichts ist mehr unschuldig. Alles harmlose ist verächtlich. Oberflächliches Gelaber. Unerträgliche Scheisse. Die bisherige Szene ist unmöglich geworden, von einem Tag auf den anderen.

Aber wir betreiben sie immer noch, wie wenn nichts gewesen wäre. Und in der Tat: war denn etwas? Das Weiterbestehen der Dinge sagt: es ist nichts gewesen. Wenn wir, und sei es nur dies eine Mal, etwas dagegen geltend machen wollen, dann, und sei es nur aus einem Rest von Selbstrespekt: zerbrecht eure Gefängnisse, es ist höchste Zeit, nein, es ist schon darüber hinaus.

Es ist Zeit, dass Konsequenzen gezogen werden, andere, als er sie gezogen hat, aber Konsequenzen. Es ist Zeit, dass wir uns unsere Leben zurückholen, und wenn wir dafür durch das Land unserer Selbsttäuschungen zurück wandern müssen. Es ist nötig, sich darüber klar zu werden, dass alles, womit wir es schaffen, zu ertragen, was nicht zu ertragen ist, uns nur stumm gemacht hat und wehrlos.

Die Macht, die die Gesellschaft nach allem über uns hat, besteht darin, dass die Einzelnen ihren Zwang an sich selbst vollstrecken. Und ihr Urteil über die Auflehnung ist, dass sie nicht sein soll. Nichts, was wir bisher getan haben, geht darüber hinaus.

Sich dem nicht beugen, was über uns verhängt ist, hiesse, auch von den teuersten Illusionen Abschied zu nehmen und wirklich unberechenbar zu werden. Nichts garantiert, dass unsere Unruhe das Vorzeichen kommender Unruhen wird; garantiert ist nur, was aus uns wird, wenn es weitergeht wie bisher.

Jörg Finkenberger

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Die Inszenierung des Nichts- Polemik zur journalistischen Kritiklosigkeit der Main-Post-Medien

Jede Stadt bekommt die Zeitung, die sie verdient. Gerade über Würzburg schwebt der graue Schleier der Selbstzufriedenheit, dessen Kritiklosigkeit ganz Deutschland ergriffen hat und sich in der Main-Post-Presse voll entfalten kann. Kritische Standpunkte, die die WürzburgerInnen in ihrer Eitelkeit kränken könnten, werden unter den Teppich gekehrt und stattdessen heimattümelnde Selbstliebe praktiziert. Dieses Jahr musste der Beitrag zum Jahrestag der Reichspogromnacht leider schmaler Ausfallen: es stand ja schließlich die närrische Jahreszeit vor der Tür.
Die Main-Post hat längst entdeckt, dass ihre mainfränkischen Schäfchen viel lieber von ihrer flauschigen Heimat- endlich dürfen sie wieder Heimat sagen – lesen, als vom Elend derer, die sich aufgrund ihres gesellschaftlichen Status nicht zuhause fühlen dürfen. Man will ja die LeserInnen nicht überfordern. So liest man die Überschrift „Tracht gegen Globalisierung“ in einem Artikel über das Jubiläumsfest des Burschenvereins Sommerhausen. Die Heimat zählt also wieder als Identitätsstifter wider die fremden Mächte. Auch dem „Tag der Heimat“ der Vertriebenenverbände fügt sich in das Wohlfühlvergnügen ein. Der BdV-Bezirksvorsitzende Albert Krohn darf zu Wort kommen: „Das im Grundgesetz ursprünglich verankerte Wiedervereinigungsgebot zielte auf ganz Deutschland, und Deutschland endete bekanntlich nicht an der Oder-Neiße-Linie“. Mir ist nicht bekannt, dass die Main-Post jemals ein kritisches Wort über die Vertriebenenverbände verloren hat. Im Juli, inmitten der Diskussion um NSDAP-Zwangsrekrutierungen, bietet die Main-Post Herrn und Frau Musterfranke die Möglichkeit, 62 Jahre nach Kriegsende in der Zeitung ihre Seele rein zu waschen . Am peinlichsten jedoch war die diesjährige Berichterstattung zu den Gedenkveranstaltungen zum Jahrestag der Reichspogromnacht: auf der Titelseite des Würzburger Teils vom 10.11. war der Main-Post das Anbrechen der fünften Jahreszeit anscheinend wichtiger. Würzburg Alaaf!
Will man die allgegenwärtige journalistische Kritiklosigkeit verstehen, die nicht nur Presseerzeugnisse der Main-Post-Gruppe, sondern auch die sonstigen Stadtmagazine aller Couleur, beherrscht, so muss man die gesellschaftliche Entwicklung der letzten Jahrzehnte betrachten. Man kann den JournalistInnen der Main-Post gar nicht vorwerfen, oder zumindest einem Großteil von ihnen nicht, dass die neue Freude am gesellschaftlichen Sein und der fehlende kritische Blick einer bewussten Intention entsprungen sind. Die bürgerliche „kritischen Öffentlichkeit“, und mit ihm der/die klassische links-liberale JournalistIn, ist nahezu ausgestorben und wurde durch einen gesellschaftlichen Zustand abgelöst, der mit der Kritik an den Zuständen nichts mehr anzufangen weiß. Das Unbehagen von damals geht in einem Fahnenmeer aus Freudentaumel über die deutschen Zustände unter, sei es durch Lokal-Patriotismus, sei es durch die bloße Beschreibung des Seienden.
Doch gerade in Würzburg prägt die Main-Post der öffentlichen Meinung ihren Stempel auf, nicht nur umgekehrt. Die Presse und die Lokalpolitik bedingen sich dabei gegenseitig. Die Allgegenwärtigkeit der Main-Post-Gruppe, die mit dem konservativen Volksblatt, der liberaleren Main-Post und dem Popmagazin neun7 alle ihre potentiellen LeserInnen bedient, bauscht marginale Meldungen zu kolossalen Themen auf und füllt so die provinzielle Leere mit vorsätzlichem Inhalt . So kann man sich bezüglich der penetranten Fokussierung auf die „Randale“ Betrunkener nach der Shuttle-Party fragen, wen jene Ausschweifungen mehr gestört haben: die Main-Post oder die AnwohnerInnen? Jedenfalls hat sich mittlerweile der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Würzburger CSU, Thomas Schmitt, das Verbot der Shuttle-Partys auf die Fahne geschrieben. Auch die Übernahme von Polizeimeldungen zeigt die völlige Unfähigkeit, die Zeitung mit Gehaltvollerem zu füllen. Die Überbesetzung der Polizeistationen in Würzburg führt dazu, dass mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Polizeiarbeit in Würzburg ist zumeist nichts anderes als eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für gelangweilte PolizistInnen. Die OrdnungshüterInnen tragen durch ihre Presseberichte wiederum dazu bei, dass die Journalisten der Main-Post den Lokalteil füllen können. Menschen mit kleinbürgerlichem Bewusstsein wird so das Gefühl vermittelt, in einer gefährlichen Stadt zu leben: die Inszenierung des Nichts ist perfekt.
Auch um die Kundengruppe unter dreißig Jahren wird gebuhlt. Aus Boulevard Würzburg, einer Art Bild-Zeitung für Mainfranken, wurde die neun7, eine Zeitung für die Popkultur. Doch die Konzert-Reviews und Reportagen entkommen ihrer fortwährenden Selbstbestätigung nicht. Im Moment baut die Main-Post ein privates Internet-Portal mit Hilfe von StudentInnen der Sozialwissenschaften auf und schafft sich so ihren eigenen Nachwuchs: Wer ausreichend Credit-Points sammeln möchte, muss einen Artikel für die Main-Post im Internet veröffentlichen. Diese Verknüpfung von Privatunternehmen und offiziellem Uni-Betrieb bleibt fragwürdig, auch wenn sie in den nächsten Jahren zur Normalität werden wird. Einer der ersten Artikel, der auf jenem Online-Portal erschien, handelte vom 25sten Geburtstag des reaktionären Instituts für Schlesien-Forschung: anscheinend bleibt auch ein Portal wie dieses dem Abfeiern des Status Quo verpflichtet .
Jede Stadt bekommt die Zeitung, die sie verdient. Und der graue Schleier der Selbstzufriedenheit liegt über fast allem, was JournalistInnen in Würzburg zu Papier bringen. Es gilt, diesen falschen Frieden zu entlarven. Eine Publikation mit kritischem Anspruch kann daher kein „anderes“ Würzburg repräsentieren, sondern nur die Verneinung der Selbstgefälligkeit sein. Ein Text wie dieser kann nicht vorsichtig kritisieren und sich damit in den journalistischen Nihilismus einreihen, er muss polemisieren. „Gutmütige Enthusiasten dagegen, Deutschtümler von Blut und Freisinnige von Reflexion, suche unserer Geschichte der Freiheit […] in den teutonischen Urwäldern. […] Die Kritik jedoch […] ist die Kritik im Handgemenge, und im Handgemenge handelt es sich nicht darum, ob der Gegner ein edler, ebenbürtiger, ein interessanter Gegner ist, es handelt sich darum, ihn zu treffen. Es handelt sich darum, den Deutschen keinen Augenblick der Selbsttäuschung und Resignation zu gönnen. Man muss den wirklichen Druck noch drückender machen, indem man ihm das Bewusstsein des Drucks hinzufügt, die Schmach noch schmachvoller, indem man sie publiziert.“

Von Benjamin Böhm

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Warum Punk noch nicht einmal tot ist- 30 Jahre 1977

Die Realität, die uns umgibt, ist in den wesentlichen Grundzügen um 1977 entstanden, wenn man unter Realität den konkreten Verlauf der Linien zwischen der konterrevolutionären Ordnung einerseits und den rapide kleiner werdenden Freiräumen dessen meint, was einmal eine Revolte war. Der Begriff konterrevolutionär hat in diesem Sinne eine sehr präzise Bedeutung, und die heutige Ordnung ist nichts anderes als die Antwort der Herrschaft auf eine konkrete Bedrohung, ein zur gesellschaftlichen Form gewordene permanenter Gegenangriff. Dass diese Ordnung noch erkennbar ist als der tägliche Terror, aus dem sie im Grunde besteht, ist die Voraussetzung dafür, dass sie abgeschafft werden kann.

1. 1968 war keine Angelegenheit der westberliner Studenten, und nur aus der zweifach bornierten Perspektive, der provinzielldeutschen und der sozialen der neuen Mittelklasse, kann es erscheinen, als sei es damals um die Notstandsgesetze oder um die Universitätsreform gegangen. Leider hat genau diese neue Mittelklasse der früheren Studenten die Geschichte geschrieben; sie bildet sich nämlich auch ein, sie gemacht zu haben. Im italienischen gibt es den Begriff vom „68 der Arbeiter“, und ein kurzer Blick auf die internationalen Gleichzeitigkeiten zeigt den französischen Mai 1968 als einen blossen Kulminationspunkt einer Angelegenheit, die von Argentinien bis Zaire im wesentlichen gleiche Züge trug, weil sie gegen ein Leben gerichtet war, das im wesentlichen überall gleich geführt wurde.

Unterschiedlich war allerdings von Land zu Land die spezifischen Formen der Niederlage, die spezifischen Verlaufsformen des Gegenangriffs. Die Staatsstreiche und die Massaker, die Deindustialisierung und die Verelendung, die Postmoderne und die New Economy haben der heutigen Gesellschaft ihre Züge aufgedrückt: sie scheinen ewig, aber sie sind nicht viel älter als ich. Ewig scheinen sie, weil mit der Revolte immer auch die Erinnerung daran ausgelöscht worden ist. Diese Gesellschaft hat kein Gedächtnis, sie lebt immer auf der Höhe der Katastrofe, und jede Panik ist in ihr ständig abrufbereit. Was namentlich vor 1977 war, ist schon völlig unvorstellbar geworden, hinter einer verspiegelten Wand verschwunden.

2. In dieser Welt hat der Irrtum eine gewisse Plausibilität, als habe Punk die Negation erfunden. Er hat sie nur geerbt, nachdem die wirkliche Revolte aus der Welt getrieben war. Punk ist in einem die nur illusorische Revolte, und im selben Platzhalter der wirklichen Revolte. Daraus erklärt sich seine zweideutige Stellung. Punk findet sich einer Welt gegenüber, die über alle Einwände schon hinweggegangen ist; Widerstand ist bereits zwecklos, mit den Zuständen ist nicht mehr zu rechten. Die Trennung des Menschen von seinem gesellschaftlichen Wesen ist eine Tatsache, über die kein ernsthafter Streit mehr möglich ist. Die vollendete Isolation ist ein fait accompli. Ein gemeinsames mit der Gesellschaft gibt es nicht mehr. An Punk erscheint noch einmal die wütende Negation der vorangegangenen Revolte, nur abstrakter und eben deshalb selbst zerstörerischer; im Stande ihrer völligen Aussichtslosigkeit. Gegenüber dem Punk erscheinen alle Klassen tatsächlich als eine einzige reaktionäre Masse; mit Wut fällt er ein Gesellschaft an, mit der sich bereits alle abgefunden haben, und genau deshalb verfällt er ihr zuletzt. Vom Punk nimmt die Neuerrichtung der Musikindustrie ihren Anfang, die bis heute in den verschiedenen Spielarten ihrer gleichermassen reduzierten Musikrichtungen eine zur verlängerten Infantilität verdammte Jugend in ihrem Bann hält.

3. Um 1968 hatte noch ein junges Proletariat tatsächlich mit einer genauso wütenden, nur massenhafteren Konsequenz die Grundlagen dieser Gesellschaftsordnung angegriffen, und zwar von innen her, aus den Fabriken, und nicht weil sie wollte, sondern weil sie musste. Die Fabrik, das war damals das Schicksal der überwiegenden Mehrzahl; erst später besass das Kapital die Vorsicht, die meisten und vor allem die unruhigsten gar nicht erst in die Fabriken zulassen, sondern ihnen woanders eine genauso stumpfsinnige Rolle zuzuweisen, wo sie nicht soviel Schaden anrichten konnten.

Die Revolte war so unberechenbar, wie sie den heutigen bemühten Historikern unerklärlich ist; sie wird deshalb am besten peinlich verschwiegen. Wie soll man auch erklären, dass damals Streiks geführt worden sind für keine oder nur für lächerlich unerfüllbare Forderungen, erbittert und lange, mit Strassenschlachten und Fabrikbesetzungen, offenbar aus keinem anderen Grund, als weil man die Arbeit genau sosehr hasste wie ihre erbärmliche nutzlosen Produkte, die man für ihren Lohn kaufen sollte? Dass Streiks ausgebrochen sind, unmittelbar nachdem die wohlüberlegten Forderungen einer Gewerkschaft vom Management bedingungslos angenommen worden waren: weil es viel zu klar war, dass kein Geld jemals ersetzen konnte, was die Arbeit einem wirklich nahm? Und dass jede Forderung sinnlos war, die nicht auf unerfüllbares zielte?

Es war keine einfache Niederlage; denjenigen, hinter denen sich die Fabriktore nach einem solchen Fest wieder schlossen, waren in der Tat nicht mehr zu helfen. In Italien, wo die Sache unter der Parole der Autonomie länger und heftiger gefochten wurde als anderswo, schieden sich die Elemente in der Bewegung von 1977. Sie ist der Beginn von allem, was wir kennen.

4. 1977 begann die Flucht aus den Fabriken. Es war kein Bleiben mehr in der Hölle, komme, was wolle. Das Kapital seinerseits bemühte sich nach Kräften, die gefürchtete rebellische Ware Arbeitskraft durch Automaten zu ersetzen: so entstanden die Grundlagen der New Economy wie der Massenarbeitslosigkeit. Die Revolte in den Fabriken war von der Gesellschaft getrennt gewesen, das war ihre Schwäche; in den besetzten Fabriken ist einmal tatsächlich anders gelebt worden, aber ausserhalb ging alles weiter seinen Gang. Die aus den Fabriken auszogen, wollten die Revolte in das alltägliche Leben tragen; und es war auch höchste Zeit dafür. Aber als sie gingen, verschwand die Revolte aus der Fabrik. Die 1977er Bewegung schuf ein Netzwerk kleiner Verlage und Zeitschriften; sie misstraute der Kommunikation der so genannten Öffentlichkeit und zog daraus den Schluss, Gegenkultur und Gegenöffentlichkeit müssten selbst organisiert werden. Sie wandte sich von der Politik ab, weil Politik auf einer Logik der Repräsentation beruht, die selbst nur wieder Herrschaft erzeugt. Die 1977er Bewegung war die erste offiziell antipolitische Massenbewegung der Geschichte. Sie betrieb ihre Sache zum ersten Mal nur im eigenen Namen und auf ihren eigenen Titel hin. Die Negation dieser Gesellschaft erscheint nicht mehr an einer bestimmten Klasse der Gesellschaft. Sie erscheint an einem bestimmten Sektor der Gesellschaft, und die Logik der Repräsentation hat auch die Gegenkultur eingeholt: sie ist nur die Darstellung einer Bewegung der Aufhebung, klar und deutlich getrennt und in sicherer Entfernung von den tragenden Pfeilern. Es ist seither wenig anders geworden.

5. Punk, in der 1977er Konstellation entstanden und mit allen ihren Widersprüchen geschlagen, hat nicht fertig bringen können, was nicht zu machen ist: dem Verdrängten eine Stimme zugeben, eine universale Sprache der Negation. Die Zersplitterung, die vordringlichste Leistung der Konterrevoltion, setzt sich in Punk und durch Punk fort: die Trennung der Revolte von der Gesellschaft und ihre Abspaltung in eine Subkultur setzt sich fort in die Trennungen voneinander fremd gegenüber stehenden Subkulturen, die zu Identitäten erstarren. Die Logik der Abspaltung erzeugt verarmte Stile von verräterischer Eindeutigkeit, klar abgegrenzte Subkulturen, denen schon anzusehen ist, dass sie Marktsegmente sein werden und sonst nichts: ideales Futter für eine Musikindustrie, die ihrer Kundschaft ohnehin nichts anderes verkaufen kann als leere Identität. Punk hat vielleicht nur für einen Moment gelebt, vielleicht auch gar nicht. In der geglätterten Geschichte der glitzernden Ödnis namens Kunst erscheint er als unerklärliche Episode, als Einbruch von etwas völlig Anderem in diese schöne Welt; wie entlarvend, immer noch! Er verweist auf etwas, das nicht gewesen sein soll. Die Revolte ist aus den Geschichtsbüchern gestrichen: sie ist schon nicht einmal gewesen.

Aber ihre Trümmer stehen noch, wir wohnen darin; und schon die Erinnerung kann in dieser Welt ohne Gedächtnis eine Bedrohung sein. Denn das versteinerte weiss, dass es wieder flüssig werden kann. Nur noch in diesem Sinne kann Punk wieder eine Bedrohung werden.

von Jörg Finkenberger

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Unterfrankens hässlichste Orte (#3): Sonderhofen

Einwohner: 846
Bürgermeister: Ludwig Zendter
Sehenswürdigkeiten: !der letzte Baum, der neue Dorfplatz, das Rübendenkmal
Beiname: „Heimat der unterfränkischen Zuckerfee 1961“

Lage:
Die Gemeinde Sonderhofen liegt im südlichen Landkreis Würzburg, in einem versteckten Winkel des Ochsenfurter Gaus. Bis zum Jahre 1945 war die Ortschaft auf keiner Karte verzeichnet und fand nur in der alten fränkischen Sage „der Bauer Zehnder vertreibt die Hühnerdiebe“ Erwähnung. Durch die landwirtschaftliche Erschließung der Gegend wohnen mehr Schweine als Menschen in Sonderhofen.
Land und Leute:
Da die Sonderhöfer selten ihre Siedlung verlassen, da sie Angst vor einem „Reiter ohne Kopf“ haben, der angeblich Menschen mit Haut und Haar verschlingt, sind diese von misstrauischer Natur. Fremde, besonders „Städter“, werden kritisch beäugt und zumeist mit Fackeln aus dem Dorf getrieben. Nimmt man jedoch an einem ihrer Dorffeste, die Jugend nennt sie „Beatabende“, teil, kann man durch den massenhaften Konsum von Bier ihren Respekt erwerben.
Sehenswürdigkeiten:
im Jahre 2005 wurde der neue Dorfplatz mit einem Brünnlein fertig gestellt. Der Bürgermeister selbst kümmert sich um die Pflege des Platzes, weil er ansonsten absolut nichts zutun hat. Eine weitere Sehenswürdigkeit ist das „Rübendenkmal“. Da die meisten Landwirte von der Zuckerrübenproduktion leben, wurde ihnen zu Ehren ein Denkmal errichtet. Die Fünf Meter hohe Rübe aus Granit bedroht „den Reiter ohne Kopf“ mit einer Mistgabel. Gefertigt wurde das Denkmal von Albert Zehnter.
Anreise:
Bis heute führt keine befestigte Straße nach Sonderhofenund der Weg ist gefahrenvoll, da Wegelagerer sehr oft Reisende entführen und zur Arbeit auf den Feldern zwingen. Die sicherste Reise nach Sonderhofen findet in der Begleitung der Postkutsche statt, die jeden ersten Mittwoch im Monat nach Sonderhofen fährt.
Bloß nicht:
Die Fäuste fliegen schnell in Sonderhofen, vor allem auf „Beatabenden“!. Seien sie vor allem vor Menschen mit sehr kurzen Haaren auf der Hut!

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