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Ein weiterer Kunstgriff – Jetzt NEU: Kapitalismus rechtfertigt seine Existenz durch Umweltschutz

„Das wirkliche Meer ist kalt und schwarz, voller Tiere; es rumort unter diesem dünnen grünen Film, der dazu da ist, die Leute zu täuschen. Die Sylphen, die mich umgeben, sind darauf hereingefallen: sie sehen nur den dünnen Film, er beweist die Existenz Gottes.“ (Sartre, Der Ekel)

Seit langer Zeit war es nicht mehr so einfach, sich ruhigen Gewissens vom gerechten Lauf der Dinge treiben zu lassen, nachsichtig tadelnd zurück und zuversichtlich nach vorne blickend. Es wird alles gut! Der Kapitalismus ist ab sofort nicht nur das System, welches sich so oder so durchsetzt, es ist neuerdings auch unser Rettungsanker. Plakatwände, Hochglanz-Magazine, Mode-Zaren, Lokalbrauereien, MTV und Boris Becker: alle dürfen lokal und global die Botschaft verkünden, dass es nie einfacher war, etwas „gegen die Globalisierung“ zu tun. Und wie? Das Geheimrezept besteht darin, nichts zu ändern: Nur konsumieren. Ab sofort aber bitte folgendes: Die batterieschonende Uhr, das ökologische Huhn, den richtigen Kinofilm, das globale Musikspektakel, ein Distelhäuser, zwei Bionade, drei Hybrid-Autos.

Schlecht daran ist erst mal gar nichts. Da die Kundschaft, vom Proleten bis zum High-Society-Girl, grundsätzlich dazu verdammt ist, zu konsumieren, ist es immerhin besser, ihnen Umweltverträgliches einzuimpfen. Eine neue Qualität der Peinlichkeit erreicht dieses Schauspiel aber, wenn die neue Fütterung nun als vernünftige, bewusste Handlung der Abnehmer stilisiert werden soll. Jener Abnehmer, die sich so lange über die Ökos lustig gemacht haben, bis ihnen Hollywood ihre potenzielle Zukunft simpler buchstabierte. Als eine Welt ohne süße Eisbären zum Beispiel.

Unwahrscheinlich ist es nicht, dass sie gelingt. Diese Große Rettung, dieser lang ersehnte heroische Akt der Menschheit, der in den mächtigen Worten Al Gores nämlich das „Privileg einer Generation [ist], eine Mission zu haben“ . Die in der Vergangenheit oft bewunderte bzw. beneidete Flexibilität des kapitalistischen Systems würde sich nur ein weiteres Mal unter Beweis stellen. Leider macht diese ,Rettung’ aber (A) die jeweils vorrangegangene Not nicht rückgängig und kann (B) keinesfalls die Menschheit ,retten’, sondern lediglich ihre physische Existenz verlängern. Die ständige Notwendigkeit, auf die finanziellen Folgen hinzuweisen, die von der vermuteten Klimakatastrophe zu erwarten seien, beweist, dass in diesem Zusammenhang keine Rede von Vernunft, Gefühl oder anderen Nichtigkeiten sein kann . Das globale Umdenken erscheint somit als nichts weiteres als ein Manöver zur Rettung des Privatkapitals, welches einsetzt, wenn dieses aufgrund gewisser Gesetzmäßigkeiten in Gefahr gerät.

Die Katastrophe wird ihm gutgeschrieben

Jetzt grandioser Kunstgriff: Am 5.7.07 erschien in der Zeit ein Artikel mit der markigen Überschrift „Hollywood rettet die Welt“ (in der selben Ausgabe: „Auf in den Ökokapitalismus!“). Darin stellt Autor Robert Misik – nach einer unentschieden bis kritischen Darstellung der vor sich gehenden Inwertsetzung der Moral – die Dinge geschickt auf den Kopf. Kurz nach den grandios bescheuerten „Live Earth“-Konzerten hat er als Credo der „neuen Aktivisten“ ausgemacht: „Der Konsumkapitalismus hat das Problem verursacht? Macht nichts, der Konsumkapitalismus macht es wieder gut“. Dass sogar der Widerstand für eine bessere Welt vom Kulturkapitalismus vereinnahmt und mit Preisschildern versehen wird, ist für Misik ein hinnehmbares Übel im Kontext der Weltrettung. Was diese Inwertsetzung für Folgen in der Öffentlichkeit zeitigt, führt der Autor am Ende des Textes jedoch selbst vor: Hier wird die Katastrophe schließlich auf wundersame Weise der kapitalistischen Wirtschaftsform gutgeschrieben. Die Schuldzuweisung für die Umweltzerstörungen fällt ebenso unter den Teppich wie der Aspekt, dass gerade nicht-kapitalistische Bewegungen die Umweltthematik in der Öffentlichkeit präsent hielten. Misik versteigt sich – aufgrund eines Medienhypes – zu der Annahme, der Kapitalismus sei „moralisch gut für uns“. Andere Auswüchse dieser Wirtschaftsform, beispielsweise die Expansion des globalisierten Verbrechens, lässt er geblendet unter den Tisch fallen. Seiner Meinung nach gäbe es Anzeichen, dass sich die Vision Adam Smiths erfülle und der Kapitalismus zu seiner „philanthropischen Funktion“ komme: „Kapitalismus ist gut für uns, und die Moral ist gut für den Kapitalismus. In einer solchen Ordnung liegt es nahe, dass man der Moral den besten Dienst erweist, indem man sie zu einem Geschäft macht“.

Angesichts meiner Sprachlosigkeit sei diesem und ähnlichen Autoren lediglich nahegelegt, darüber nachzudenken, ob Kapitalismus nur Cameron Diaz, Leonardo di Caprio und der grüne Film ist oder vielleicht auch das tiefschwarze Meer?

Sebastian Loschert
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1 Zitiert nach: Robert Misik, „Hollywood rettet die Welt“, Die Zeit, 5. Juli 2007.
2 Wenn wir uns erinnern mögen: Die Verbesserung des elendigen Zustands der Arbeiterklasse ab der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert setzte natürlich nicht ein, weil das Elend des Proletariats Mitleid erzeugt hätte, sondern sie begann just mit der Erkenntnis des drohenden Elends der Kapitalistenklasse. Diese Erkenntnis führten z.B. Gewerkschaften vor Augen.
3 Als Folge dieser seltsam oberflächlichen Betrachtung der Welt ergibt sich bei Misik auch die Vorstellung, dass schon „viel gewonnen [wäre], wenn die goldenen Anbagger-Sprüche dereinst einmal lauten würden: ,Hey, schau dir meinen Pflanzenöl-Schlitten an, Süße!’“. Robert Misik, „Klimaschutzkonsum jetzt!“, Falter, 27. Juni 2007.

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